Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Kartelle. Art. 81 EG und 53 EWR-Abkommen. Markt für Monochloressigsäure. Vorschriften, nach denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden können. Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses. Verteidigungsrechte. Begründungspflicht
Beteiligte
Elf Aquitaine / Kommission |
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 30. September 2009, Elf Aquitaine/Kommission (T-174/05), wird aufgehoben.
2. Die Entscheidung K(2004) 4876 endg. der Kommission vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/E-1/37.773 – MCAA) wird für nichtig erklärt, soweit der Elf Aquitaine SA die fragliche Zuwiderhandlung zugerechnet und eine Geldbuße gegen sie festgesetzt wird.
3. Die Europäische Kommission und die Elf Aquitaine SA tragen jeweils ihre eigenen Kosten des vorliegenden Rechtsmittels.
4. Die Europäische Kommission trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 11. Dezember 2009,
Elf Aquitaine SA mit Sitz in Courbevoie (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: E. Morgan de Rivery, S. Thibault-Liger und E. Lagathu, avocats,
Rechtsmittelführerin,
andere Verfahrensbeteiligte:
Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet und F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas und A. Ó Caoimh (Berichterstatter) sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2010,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Elf Aquitaine SA (im Folgenden: Elf Aquitaine oder Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 30. September 2009, Elf Aquitaine/Kommission (T-174/05, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage abgewiesen hat, die in erster Linie auf die Nichtigerklärung der Entscheidung K(2004) 4876 endg. der Kommission vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/E-1/37.773 – MCAA) (im Folgenden: streitige Entscheidung), hilfsweise auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße gerichtet war.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung
Rz. 2
Aus den Randnrn. 3 bis 7 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass die Europäische Kommission Ende 1999 die Untersuchung eines Kartells für Monochloressigsäure (im Folgenden: MCE) aufgrund der Anzeige eines der am Kartell beteiligten Unternehmen einleitete. Am 14. und am 15. März 2000 nahm die Kommission Durchsuchungen in den Geschäftsräumen u. a. einer Tochtergesellschaft der Rechtsmittelführerin vor. Am 7. und 8. April 2004 übersandte sie zwölf Gesellschaften, darunter Elf Aquitaine und diese Tochtergesellschaft (ehemals Elf Atochem SA, dann Atofina SA und zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels Arkema SA, im Folgenden: Atofina oder Arkema), eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.
Rz. 3
Aus Randnr. 8 des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung im Wesentlichen feststellte, dass sich die von dieser Entscheidung betroffenen Unternehmen an einem Kartell beteiligt und damit gegen Art. 81 EG verstoßen hätten.
Rz. 4
Wie aus den Randnrn. 9 bis 12 des angefochtenen Urteils hervorgeht, führte die Kommission in der streitigen Entscheidung unter Zurückweisung der Gegenargumente von Elf Aquitaine aus, der Umstand, dass diese 98 % der Aktien von Atofina halte, reiche aus, um sie für die Handlungen ihrer Tochtergesellschaft haftbar zu machen. Dass Elf Aquitaine nicht an der Herstellung und am Vertrieb von MCE mitgewirkt habe, hindere nicht die Annahme, dass sie mit den operativen Einheiten der Gruppe eine wirtschaftliche Einheit bilde.
Rz. 5
Nach Randnr. 30 des angefochtenen Urteils beläuft sich die Geldbuße, die in der streitigen Entscheidung gegen Elf Aquitaine und Arkema als Gesamtschuldnerinnen verhängt wurde, auf 45 Mio. Euro.
Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
Rz. 6
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht sämtliche vor ihm geltend gemachten elf Klagegründe zurückgewiesen und der Rechtsmittelführerin die Kosten auferlegt. Hierzu hat es u. a. die im Folgenden dargelegten Erwägungen angestellt.
Rz. 7
Mit ihrem ersten Klagegrund machte die Rechtsmittelführerin geltend, dass die streitige Entscheidung ihre Verteidigungsrechte in zweifacher Hi...