Zusammenfassung
Der Vielfalt der Freizeitaktivitäten entspricht die Vielzahl der Nachbarkonflikte wegen Lärmbelästigungen durch Freizeitanlagen. Unterschiedliche Freizeitaktivitäten werden bei einer Freizeitanlage sozusagen an einem Ort gebündelt und weisen deshalb auch ein dementsprechendes Lärmpotenzial auf. Die Wohnnachbarschaft wird damit mehr oder weniger gezwungen, das Treiben der Freizeitaktivisten akustisch mitzuerleben, und das häufig in Zeiten eines erhöhten Ruhebedürfnisses, sprich in den Abendstunden und an Wochenenden. In der Praxis sind es immer wieder Volksfeste, Stadtteilfeste oder Jahrmärkte unterschiedlichen Zuschnitts und zum Teil mit langer Tradition, Veranstaltungen in kommunalen oder privat betriebenen Mehrzweckhallen, Open-Air-Konzerte oder Karnevalsumzüge, die für Streitigkeiten sorgen.
Bei diesem Spannungsfeld gegenläufiger Interessen ist es Aufgabe von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, nach Lösungen zu suchen, mit denen ein ausgewogenes Ergebnis im Einzelfall erreicht werden kann. Es ist aber zuzugeben, dass dieser Versuch aus der unterschiedlichen Sicht der Streitparteien nicht immer gelingt.
Entscheidende Maßstäbe für die Zumutbarkeit von Freizeitlärm lassen sich einerseits § 22 Abs. 1 BImSchG und der in dieser Vorschrift geregelten immissionsschutzrechtlichen Grundpflicht und andererseits dem in den §§ 29 ff. BauG und dem in der BauNVO geregelten Bauplanungsrecht entnehmen.
Als Orientierungshilfe für die Zumutbarkeit des von Freizeitanlagen ausgehenden Lärms für die Wohnnachbarschaft dient den Gerichten die Freizeitlärmrichtlinie, die der Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) erstmals 1995 verabschiedet hat. Die aktuelle Fassung hat den Stand 6.3.2015.
Ergänzt wird dies alles durch eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen zu wesentlichen Fragestellungen wie derjenigen, wann eine Freizeitveranstaltung als ein so "seltenes Störereignis" angesehen werden kann, dass es als Ausnahme von der Regel auch bei sehr hohen Lärmpegeln von der Wohnnachbarschaft noch hingenommen werden muss. Auch Fragen des Brauchtums und der Traditionspflege spielen bei Gerichtsentscheidungen immer wieder eine Rolle.
1 Anwendungsbereich der Freizeitlärmrichtlinie
Die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen ist gesetzlich in der TA-Lärm geregelt, die dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche dient. Die TA-Lärm gilt aber nicht für den Lärm, den temporäre Freizeitveranstaltungen verursachen.
Freizeitaktivitäten sind den Regelungen durch das Immissionsschutzrecht zugänglich, soweit sie an einem bestimmten Ort stattfinden, der eine Anlage i. S. d. § 22 BImSchG darstellt. Von diesem Anlagenbezug geht die Freizeitlärmrichtlinie aus.
Die vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) beschlossene Freizeitlärmrichtlinie ist das Ergebnis langjähriger Beratungen von Fachleuten der Bundes- und Länderverwaltung, die in der aktuellen Fassung vom 6.3.2015 anzuwenden ist. Wegen des in die Ausarbeitung der Richtlinie eingebrachten Sachverstands verstehen die Gerichte sie zwar nicht als verbindliche Vorgabe für ihre Entscheidungen wie die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV). Sie gilt ihnen aber als Orientierungs- und Entscheidungshilfe mit Indizcharakter unabhängig davon, ob sie durch Ländererlasse als für die Verwaltung verbindlich umgesetzt worden ist oder nicht.
Als Orientierungshilfe kann die Freizeitlärmrichtlinie zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit herangezogen werden, wenn sie für die Beurteilung der Erheblichkeit einer Lärmbelästigung im konkreten Streitfall brauchbare Anhaltspunkte liefert. Die Richtlinie darf jedoch nicht schematisch angewendet werden. Die Zumutbarkeitsgrenze ist aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.
1.1 Freizeitanlagen gemäß der Richtlinie
Die Freizeitlärmrichtlinie versteht unter Freizeitanlagen Einrichtungen i. S. v. § 3 Abs. 5 Nr. 1 und 3 BImSchG, "die dazu bestimmt sind, von Personen zur Gestaltung ihrer Freizeit genutzt zu werden".
Einrichtungen
Einrichtungen in diesem Sinne sind zum einen Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen sowie zum anderen auch Grundstücke, wenn sie nicht nur gelegentlich zur Freizeitgestaltung bereitgestellt werden, wie etwa die Wiese eines Landwirts für ein einmaliges Jahrhundertereignis in der Art eines deutschen Woodstock.
Die als Anlagen geltenden Grundstücke können auch Flächen sein, die sonst etwa der Sportausübung, dem Flugbetrieb oder dem Straßenverkehr dienen. Insgesamt geht die Freizeitlärmrichtlinie von einem weit gefassten Anlagenbetrieb aus. Dementsprechend mannigfach sind auch die folgenden in der Richtlinie beispielhaft aufgeführten Anlagen.
- Grundstücke, auf denen in Zelten oder im Freien Diskothekenveranstaltungen, Lifemusikdarbietungen, Rockmusikdarbietungen, Platzkonzerte, regelmäßige Feuerwerke, Volksfeste od...