Leitsatz (amtlich)
Bei einem einheitlichen Lebenszusammenhang sind alle Straftaten von der Anklage mit umfasst, auch wenn sie dort nicht genannt sind. Es genügt der rechtliche Hinweis. Eine überholende Kausalität liegt vor, wenn der Täter zwar die Ursache für eine Körperverletzung gesetzt hat, unabhängig davon aber eine neue Ursachenreihe in Gang gesetzt wird, die unabhängig von der ersten von dem Täter gesetzten Ursache zum Erfolgseintritt geführt hat. Anders, wenn beide Ursachen zusammen zu dem Erfolgseintritt geführt haben.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 25.07.2008; Aktenzeichen (510) 20 Ju Js 1060/04 (10/08)) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft Berlin und des Nebenklägers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2008 werden verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Landeskasse Berlin und der Nebenkläger jeweils zur Hälfte. Die Landeskasse Berlin hat darüber hinaus die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten zu tragen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat dem Angeschuldigten mit Anklage vom 14. April 2008 zur Last gelegt, eine schwere Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung im Amt (§§ 226 Abs. 1 Nr. 1, 340, 52 StGB) begangen zu haben. Der Angeschuldigte habe in Berlin am 12. Januar 1998 als beamteter Facharzt für Kinderchirurgie den am 6. Juni 1997 geborenen Nebenkläger in der klinik der , am Kehlkopf operiert. Der Angeschuldigte habe bei dem geschädigten Kind eine - wie er wusste - fehlerhafte exzessive zirkuläre Ringknorbelstenose durchgeführt, was bei diesem einen Kehlkopfverschluss mit anschließendem dauerhaften Stimmverlust zur Folge gehabt habe. Aufgrund seiner Qualifikation und Operationserfahrung seien diese schweren Folgen für den Angeschuldigten vorhersehbar gewesen und hätten bei fachgerechter Behandlung des geschädigten Kindes vermieden werden können. Mit Beschluss vom 25. Juli 2008 hat das Landgericht Berlin die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten aus Rechtsgründen abgelehnt. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden des Nebenklägers und der Staatsanwaltschaft sind zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens im Ergebnis zu Recht abgelehnt, § 204 Abs. 1 StPO.
1.
Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum eröffnet, zumal es sich dabei um eine Prognoseentscheidung handelt (BVerfG NJW 2002, 2859, 2860). Die ermittelten Tatsachen müssen es bei vorläufiger Bewertung nach praktischer Erfahrung wahrscheinlich machen, dass der Angeschuldigte in einer Hauptverhandlung mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln verurteilt wird (vgl. BGHSt 23, 304, 306; BGH NJW 1970, 1543, 1544). Entscheidend ist letztlich die vertretbare Prognose des Gerichts, dass die Hauptverhandlung wahrscheinlich mit einem Schuldspruch enden wird, wenn das Ermittlungsergebnis nach Aktenlage sich in der Beweisaufnahme als richtig erweist (vgl. BGH NJW 2000, 2672, 2673). Hierbei wird ein geringerer Grad an Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies bei dem dringenden Tatverdacht im Sinne von §§ 112 Abs. 1 Satz 1 oder 126 a Abs. 1 StPO der Fall ist (vgl. KG, Beschluss vom 18. September 2008, 3 Ws 477/07; BGH a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 203 Rdn. 2 m.w.N.). Bei diesem Wahrscheinlichkeitsurteil ist für eine Anwendung des Zweifelsgrundsatzes noch kein Raum. Zweifelhafte Tatfragen hindern daher eine Eröffnung nicht, wenn in der Hauptverhandlung eine Klärung zu erwarten ist (Senat, Beschluss vom 1. Februar 2002, 4 Ws 14/02 m.w.N.). Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende das Gericht nach dem Zweifelsgrundsatz freisprechen wird (Meyer-Goßner, a.a.O., § 203 Rdnr. 2).
2.
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere dem Ergebnis des im Zivilverfahren durch das Landgericht Berlin (6.O.438/00) eingeholten HNO-wissenschaftlichen Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. , ist - unter Beachtung der vorstehend genannten Grundsätze - mit hinreichender Sicherheit im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen: Der am 6. Juni 1997 geborene Nebenkläger wurde am 17. September 1997 zur stationären Aufnahme in die Kinderklinik der aufgenommen, da er unter akuten Hustenanfällen sowie ausgeprägten Atemwegsobstruktionen litt. In den folgenden Monaten wurde der Nebenkläger in stationär behandelt, dabei wurden ihm u.a. Antibiotika verabreicht und er wurde wiederholt für jeweils mehrere Tage intubiert. Am 12. November 1997 wurde bei ihm eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) durchgeführt und oberhalb des Isthmus der Schilddrüse ein Tracheostoma (eine operative Öffnung der Luftröhre) angelegt. Am 2. und 12...