Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 26.04.2012; Aktenzeichen (293) 225 Js 562/11 Ls (23/11)) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 26. April 2012 wird verworfen.
Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Am 26. April 2012 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwölf Monaten festgesetzt. Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft Berlin die Verletzung formellen Rechts nach § 338 Nr. 1 StPO, da sie die Ansicht vertritt, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, und die Verletzung materiellen Rechts, wobei speziell gerügt wird, dass neben der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nicht auch eine Verurteilung wegen einer tateinheitlich begangenen fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2c), d), Abs. 3 StGB ergangen sei.
Die zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft (§ 335 StPO) ist unbegründet.
1. Die in zulässiger Weise erhobene Rüge nach § 338 Nr. 1 StPO hat keinen Erfolg, denn der Umstand, dass die in der Hauptverhandlung anwesende und an der Fällung des Urteils beteiligte Schöffin Y. E. ein so genanntes Hidschab-Kopftuch trug, das ihre Stirn bis zu den Augenbrauen sowie ihre Ohren vollständig abdeckte und unter dem Kinn derart geschlossen war, dass der Hals der Schöffin vollständig verhüllt war, begründet keinen Umstand, der die Unfähigkeit der Schöffin, das Schöffenamt zu bekleiden, begründete.
Nach § 32 GVG sind nur solche Personen unfähig, das Schöffenamt zu bekleiden, die infolge Richterspruchs die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzen, wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sind oder gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen einer Tat schwebt, das den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge hat. Soweit ein Schöffe, bei dem die Voraussetzungen nach § 32 GVG vorliegen, an einer Hauptverhandlung mitwirkt, begründet dies eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts, die mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO erfolgreich beanstandet werden kann (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 32 GVG Rn. 6). Der Fall, dass ein nach §§ 33, 34 GVG ungeeigneter Schöffe an der Urteilsfindung mitwirkt, kann hingegen die Revision regelmäßig nicht begründen (Meyer-Goßner, aaO., § 33 GVG Rn. 8 und § 34 GVG Rn. 16), denn auch ungeeignete Schöffen, wie etwa Religionsdiener und Mitglieder solcher religiösen Vereinigungen, die satzungsgemäß zum gemeinsamen Leben verpflichtet sind (§ 34 Nr. 6 GVG), verlieren die Fähigkeit, das Schöffenamt zu bekleiden, grundsätzlich nicht. Sie sollen bloß nicht zum Schöffenamt herangezogen werden und dürfen daher bereits in die Vorschlagslisten (§ 36 GVG) nicht aufgenommen werden. Werden sie trotzdem gewählt (§ 42 GVG) und ausgelost (§ 45 GVG), sind sie nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 GVG von der Schöffenliste zu streichen.
Der Fall, dass ein Schöffe ein bestimmtes Kleidungsstück trägt, begründet auch unter dem Umstand, das es sich dabei um eine religiös begründete Kleidung handelt, wie das beim so genannten Hidschab-Kopftuch der Fall ist (BVerfGE 108, 282, 299), nach der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift des § 32 GVG nicht die Unfähigkeit, das Schöffenamt zu bekleiden. Dass der Gesetzgeber solche Personen auch nicht grundsätzlich vom Schöffenamt ausschließen will, ergibt sich aus § 34 Nr. 6 GVG, der Ordensleuten und Priestern, die ja ebenfalls aufgrund religiöser Vorschriften eine bestimmte Art von Bekleidung tragen und in dieser unter Umständen an einer gerichtlichen Hauptverhandlung teilnehmen, gerade nicht die Fähigkeit abspricht, das Schöffenamt zu bekleiden.
Aus § 32 GVG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung, die Unfähigkeit einer ein Kopftuch tragenden Muslimin, das Schöffenamt zu bekleiden, abzuleiten, verbietet sich schon deshalb, weil es im Falle eines Eingriffs in ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. BVerfGE 108, 282, 297; BVerfG, NJW 2008, 2568, 2570; Groh, NVwZ 2006, 1023, 1026). Das der Schöffen zur Seite stehende Grundrecht der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG garantiert, dass der Einzelne sein gesamtes Verhalten an den für ihn verbindlichen Glaubenslehren ausrichten kann (BVerfGE 32, 98, 106), wozu auch die religiös motivierte Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes durch Kleidung gehört (BVerfGE 108, 282, 297 f.). Soweit die Schöffin in der Hauptverhandlung ein Kopftuch trug, lag dies also im unmittelbaren Schutzbereich des von der Verfassung vorbehaltlos gewährten Grundrechts auf Religion...