Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel mit Aussagen zur Beseitigung, zur Linderung und zur Verhütung einer Krankheit, zur Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie zu einer schlankmachenden Wirkung und mit gesundheitsbezogenen Aussagen; hinreichende wissenschaftliche Absicherung
Leitsatz (amtlich)
1. § 12 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, 2 LFGB untersagt - wie Art. 7 Abs. 3, Abs. 4 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und weiter gehend als § 11 LFGB/Art. 7 Abs. 1 lit. b, Abs. 4 lit. a der vorgenannten Verordnung jeweils zum Schutz vor Täuschung - abstrakt und damit schlechthin eine auf die Beseitigung oder Linderung von Krankheiten bezogene Werbung für Lebensmittel. Insoweit kommt es auf eine Täuschung nicht an.
2. Die Verhütung einer Krankheit im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 LFGB erfasst - weiter gehend als Art. 14 Abs. 1 HCVO betreffend die Verringerung eines Krankheitsrisikos - Werbeaussagen, nach denen eine Erkrankung insgesamt ausgeschlossen sein soll.
3. Für Angaben zur Verringerung eines Krankheitsrisikos im Sinne des Art. 14 Abs. 1 HCVO fehlt es in Art. 28 HCVO an einer noch laufenden Übergangsfrist bis zur Annahme der Gemeinschaftslisten im Verfahren nach Art. 15 ff HCVO.
4. Die dem Lebensmittelunternehmer, der eine gesundheitsbezogene Angabe macht, gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 6 Abs. 1, Abs. 2, Art. 10 Abs. 1 HCVO obliegende Darlegungs- und Beweislast ist nicht auf das behördliche Verfahren beschränkt, sondern gilt auch in wettbewerbsrechtlichen Gerichtsverfahren.
5. Auch wenn gesundheitsbezogene Aussagen grundsätzlich nur durch Studienergebnisse belegt werden, wenn die Studien nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden, und dabei im Regelfall erforderlich ist, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen ist, kann es unter Umständen ausreichen, dass das Produkt unter den angegebenen Anwendungsbedingungen unschädlich ist und dass die beworbenen Wirkungen aufgrund langjährige Anwendung und Erfahrung plausibel sind, insbesondere durch wissenschaftlich anerkannte bibliografische Angaben über eine traditionelle Anwendung oder wissenschaftlich anerkannte Berichte von Sachverständigen, aus denen hervorgeht, dass das betreffende oder ein entsprechendes Produkt zum Zeitpunkt der Antragstellung seit weit mehr als zehn Jahren - auch in der Europäischen Union - mit Erfolg verwendet wird.
6. In der Gemeinschaftsliste der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zugelassene Angaben dahin, dass ein Bestandteil des Produktes einen spezifischen Beitrag zu bestimmten körperlichen Funktionen leisten kann (Calcium trägt zur normalen Funktion der Verdauungsenzyme bei), erlauben keine weiter gehenden Werbeaussagen zur Gesunderhaltung einzelner Organe (und sorgt so für einen gesunden Darm).
Normenkette
UWG § 4 Nr. 11; LFGB § 12 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 bis 3; EUVO 1169/2011 Art. 7 Abs. 3; EUVO 1169/2011 Abs. 4 lit. a; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 5 Abs. 1 lit. a; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 6 Abs. 1; EUVO 1924/2006 (HCVO) Abs. 2; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 10 Abs. 1; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 13 Abs. 1 lit. a; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 13 lit. c; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 13 lit. i; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 13; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 14 Abs. 1; EUVO 1924/2006 (HCVO) Art. 28 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 27.02.2014; Aktenzeichen 91 O 91/13) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.2.2014 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 91 des LG Berlin - 91 O 91/13 - wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (hinsichtlich der landgerichtlichen Verurteilung in Ziff. I in Höhe von 1.200,00 Euro je Ziff. 1 bis 65 und im Übrigen in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages) abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit (hinsichtlich der landgerichtlichen Verurteilungen in Ziff. I in der vorgenannten Höhe, im Übrigen in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages) leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der klagende Wettbewerbsverein nimmt die beklagte Vertreiberin des Nahrungsergänzungsmittels C.DarmAktiv auf Unterlassung von - nach seiner Auffassung insbesondere mangels eines wissenschaftlichen Nachweises und wegen eines teilweisen Krankheitsbezuges unzulässigen - Werbeaussagen in Anspruch.
Die Beklagte versandte als Postaussendung unter anderem an Berliner Adressen eine Broschüre über das genannte Produkt. Wegen des Inhalts wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung (Anlage K 1) Bezug genommen. Der Kläger beanstandete diese Werbung mit seiner Abmahnung vom 5.6.2013 vergeblich. Er hat neben der Unterlassung einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von EUR 166,60 gelte...