Leitsatz (amtlich)
Während des Insolvenzverfahrens und des Restschuldbefreiungsverfahrens ist die Anordnung von Erzwingungshaft zur Erzwingung der Zahlung einer Geldbuße nach § 96 OWiG unzulässig, da auch die Anordnung von Erzwingungshaft eine unzulässige Maßnahme der Einzelzwangsvollstreckung im Sinne der §§ 89, 294 InsO darstellt.
Verfahrensgang
AG Bochum (Entscheidung vom 13.09.2012; Aktenzeichen 97 Cs 62/11) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.
Gründe
1.
Ober das Vermögen des Betroffenen hat das Amtsgericht Essen am 10.10.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet (167 IN 88/11). Das Insolvenzverfahren dauert fort.
Der Betroffene hat eine ihm mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 12.04 .2011 wegen einer Ordnungswidrigkeit (leichtfertiger Steuerverkürzung) auferlegte Geldbuße nicht bezahlt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Bochum gemäß § 96 OWiG eine Erzwingungshaft von fünf Tagen gegen den Betroffenen angeordnet.
Gegen diesen seinem Verteidiger am 18.09.2012 zugestellten Beschluss richtet sich der Betroffene mit seiner am gleichen Tag bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwiesen.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
2.
Sie ist auch begründet, denn die Anordnung der Erzwingungshaft war unzulässig, weil sie während der Dauer des Insolvenzverfahrens erfolgte. Das folgt aus § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1 InsO, wonach Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer dies Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig sind.
Die erkennende 9. Strafkammer, die seit Anfang 2011 anstelle der zuvor zuständig gewesenen 1. Strafkammer nunmehr Kammer für Bußgeldsachen ist, führt deren ständige Rechtsprechung im obigen Sinne fort. Ähnlich auch LG Berlin, 4. Strafkammer, Beschl. v. 19.01.2005 - 504 Qs 13,8/04, LG Hechingen, Beschl. v. 24.05.2007 - 1 Qs 49/07.
a)
Der die Vollstreckung wegen der Geldbuße Betreibende ist Insolvenzgläubiger. Denn § 39 Abs. 1 Nr. 3 Ins() bezeichnet denjenigen, der wegen einer Geldbuße vollstreckt, als nachrangigen Insolvenzgläubiger und weist ihm seine Stellung innerhalb der Rangfolge der Insolvenzgläubiger zu.
Nach altem Recht (§ 63 Nr. 3 KO) nahmen Forderungen wegen Geldstrafen und ähnlichem nicht am Konkursverfahren teil, so dass die Einzelvollstreckung insoweit zulässig blieb. Indem der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die in § 39 InsO bezeichneten Forderungen im das Insolvenzverfahren einbezogen hat, ist sein politischer Wille zum Ausdruck gekommen, diese im taufenden Verfahren gerade nicht mehr zu bevorzugen. Wäre die Bevorzugung von Geldstrafen und Geldbußen vom Gesetzgeber gewollt gewesen, so hätte nahe gelegen, diese Forderungen insgesamt vom Insolvenzverfahren auszunehmen, nicht aber sie als nachrangige Forderungen in das Insolvenzverfahren ein zu beziehen und sie nur im § 302 InsO dadurch zu privilegieren, dass sie nach Abschluss des Verfahrens im der nicht getilgten Höhe weiter zu befriedigen sind.
b)
Die Anordnung der Erzwingungshaft nach § 96 OWIG ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung im Sinne von § 89 InsO.
aa)
Ihrem Wesen nach ist sie ein Beugemittel, mit dem die Zahlung der Geldbuße gegen einen zahlungsunwilligen Betroffenen erzwungen werden soll. Häufig betrifft sie Bußgeldpflichtige, die unpfändbar sind, insbesondere dem Schutz des § 850c ZPO unterfallen. In diesen Fällen sollen die Bußgeldpflichtigen veranlasst werden, zwecks Vermeidung der Haft aus ihrem (geringen) Einkommen bzw. Vermögen .etwas abzuzweigen, notfalls Dinge zu verkaufen, um dann die Geldbuße zahlen zu können. Auf diese Weise können auch gegenüber diesem Personenkreis Ordnungswidrigkeiten wirkungsvoll geahndet werden.
bb)
Dafür, dass die Anordnung der Erzwingungshaft nach § 96 OWiG eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ist, spricht maßgebend auch die Stellung des § 96 OWiG innerhalb der Gesetzessystematik des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Im neunten Abschnitt des Ordnungswidrigkeitengesetzes finden sich in den §§ 89 - 104 unter der Überschrift 'Vollstreckung der Bußgeldentscheidungen" Regelungen über die Zuständigkeit, die Art und Weise der Vollstreckung und über Rechtsmittel im Vollstreckungsverfahren.
cc)
Die Erzwingungshaft stellt insoweit eine Parallele zur Anordnung der Haft nach § 901 ZPO dar. Mit jener Haftanordnung soll der Schuldner zu einer anderweitig nicht zu erreichenden Tätigkeit, nämlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung veranlasst werden. Auch die Haftanordnung nach § 901 ZPO ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung. Sie ist wie die anderen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung im achten Buch der Zivilprozessordnung geregelt.
c)
Die hier vertretene Auffassung entspricht der Begründung des Regierungsentwurfes zur Insolvenzordnung und damit dem Ziel des Gesetzgebers. In der Bundestagsdrucksache 1212443 heißt es auf Seiten 137, 138 zu...