1 Leitsatz
Die Verwaltung kann einem Mitarbeiter Schadensersatz schulden, wenn sich dieser bei dem an COVID-19 erkrankten Geschäftsführer ansteckt.
2 Normenkette
§§ 241 Abs. 1, 280, 282 BGB; § 26 WEG
3 Das Problem
Der an COVID-19 erkrankte Geschäftsführer Z der B-GmbH (einer Verwalterin) fährt mit der Angestellten K am 18.8.2020 und am 20.8.2020 – beide ohne Mund-Nasen-Schutz – in einem Pkw zu Eigentümerversammlungen. Am 25.8.2020 ordnet das Gesundheitsamt gegenüber K, die infolge der Fahrt vom 20.8.2020 als Kontaktperson 1 von Z eingestuft wird, eine Quarantäne bis zum 3.9.2020 an. Infolgedessen fällt die für den 29.8.2020 geplante kirchliche Trauung der K mit anschließender Hochzeitsfeier, zu der 99 Gäste eingeladen sind, aus. Dadurch entsteht K ein Schaden von rund 5.000 EUR. Fraglich ist, ob die B-GmbH der K den Schaden ersetzen muss.
4 Die Entscheidung
Das LAG bejaht die Frage! K habe einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens aus §§ 280 Abs. 1, 282 BGB. Die B-GmbH habe die ihr nach § 241 Abs. 2 BGB obliegende Fürsorgepflicht gegenüber K als ihrer Arbeitnehmerin durch ihren Geschäftsführer verletzt, indem dieser am 18. und 20.8.2020 mit K zusammen längere Zeit in einem Auto fuhr. Damit habe die B-GmbH gegen die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (in der Fassung vom 10.8.2020) verstoßen. Nach deren Ziffer 4.2.1. sei die Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass Sicherheitsabstände von 1,5 m eingehalten werden konnten, und jede Person bei Krankheitssymptomen zuhause bleiben sollte.
Die Pflichtverletzung sei ursächlich für den entstandenen Schaden. Wäre Z nicht ins Büro gekommen oder hätte er wenigstens den notwendigen Abstand zur K durch getrennte Autofahrten gewahrt, wäre gegen K keine Quarantäneanordnung ergangen und die geplante Hochzeit samt Feier hätte stattfinden können. Ein Mitverschulden der K sei nicht zu erkennen. K hätte gegenüber ihrem Vorgesetzten nicht verlangen müssen, ein zweites Auto zu nutzen. Dies wäre einem Hinweis gegenüber dem Geschäftsführer gleichgekommen, dass dieser seinen eigenen Gesundheitszustand nicht ausreichend beachte und nicht adäquat darauf reagiere. Ein solches Verhalten sei schwer vorstellbar und von einer Mitarbeiterin, selbst wenn sie wie hier ein besonderes Interesse an der Einhaltung der Regelungen hatte, nicht zu verlangen.
5 Hinweis
Problemüberblick
In diesem sicherlich nicht alltäglichen Fall geht es um die Frage, ob eine Verwaltung das öffentliche Recht beachten und dafür sorgen muss, dass ihre Mitarbeitenden nicht erkranken.
Einhaltung des öffentlichen Rechts
Wir stellen an dieser Stelle regelmäßig Entscheidungen vor, die für das Verhältnis zwischen der Verwaltung und den Wohnungseigentümern eine Bedeutung haben. Bei solchen Entscheidungen weisen wir immer wieder darauf hin, dass es eine der Pflichten der Verwaltungen ist, dafür zu sorgen, dass in der Wohnungseigentumsanlage nicht gegen die Bestimmungen des öffentlichen Rechts verstoßen wird. In den letzten Jahren spielten nicht nur, aber insbesondere die Verordnungen eine große Rolle, die aus Anlass der COVID-19-Pandemie Regelungen für die Freiflächen der Wohnungseigentumsanlage und die Abhaltung von Versammlungen getroffen hatten.
Bei der hier vorliegenden Entscheidung geht es hingegen um das Verhältnis zwischen einer Verwaltung und ihren Mitarbeitenden. Aus ihr lässt sich ohne Weiteres ableiten, dass die zentrale Botschaft darin besteht, sich auch dort an Recht und Ordnung zu halten. Im Verhältnis der Mitarbeitenden einer Verwaltung zur Verwaltung gilt also nichts anderes als zwischen der Verwaltung und den Wohnungseigentümern. Auch dort sind mithin die Vorschriften des öffentlichen Rechts peinlich zu beachten, beispielsweise solche, die der Verbreitung einer Pandemie entgegentreten. Hier treffen insbesondere die Geschäftsleitung besondere Pflichten. Ein erkrankter Geschäftsführer gehört beispielsweise nicht ins Büro. Außerdem sind auch dort Abstandsregelungen und die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, streng zu beachten.
6 Entscheidung
LAG München, Urteil v. 14.2.2022, 4 Sa 457/21