Entscheidungsstichwort (Thema)
Planungsermessen bei Änderung eines Bebauungsplans. § 1 Abs. 10 BauNVO als Rechtsgrundlage für „Fremdkörperschutz”. Bestandsschutz. Fremdkörper. Industriebetrieb. Gebiet, überwiegend bebautes. Bebauungsplan (Änderung)
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gemeinde kann im Falle einer (teilweisen) Planänderung ihr Planungsermessen nicht mehr so frei ausüben wie bei der Neuaufstellung eines Bebauungsplans, weil das Vertrauen eines Betroffenen in die bisherigen Festsetzungen grundsätzlich um so schutzwürdiger und stärker zu gewichten ist, je weiter sie realisiert worden sind.
2. § 1 Abs. 10 BauNVO bietet die Rechtsgrundlage für einen durch Planung zu ermöglichenden erweiterten „Bestandsschutz für Fremdkörper” in einem andersartigen Baugebiet. Größere Anlagen mit erheblichem Umfang wie zusammenhängende Industrieflächen erfordern regelmäßig die Festsetzung eines eigenen Baugebiets.
3. Ob im Hinblick auf die Überplanung eines bebauten Gebiets unter Einbeziehung bisher unbeplanter Flächen uneingeschränkt daran festzuhalten ist, dass gemäß § 1 Abs. 10 Abs. 1 BauNVO zumindest die gesamte Fläche des Baugebiets überwiegend bebaut sein muss, das fragliche Gebiet jedoch über die Grenzen des Baugebiets hinausgehen kann, unterliegt deshalb gewissen Zweifeln, weil es einer Gemeinde möglich wäre, durch die Begrenzung des Bebauungsplans auf das bebaute Gebiet und die gleichzeitige Aufstellung eines weiteren Bebauungsplans für die benachbarten unbebauten Flächen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 10 BauNVO zu erfüllen.
Normenkette
BauGB 1 VI; BauGB § 2 Abs. 4; BauNVO § 1 Abs. 10
Verfahrensgang
VG Osnabrück (Entscheidung vom 28.01.2000; Aktenzeichen 2 A 111/98) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Beanstandung des Bebauungsplans Nr. 96 „Gewerbepark A.” durch den Beklagten.
Dieser Bebauungsplan überplant eine ca. 47 ha große Fläche nördlich des Mittellandkanals zwischen der W. Straße (Landesstraße L 77, im Folgenden L 77 genannt) im Osten und dem F. D. im Westen und erfasst größtenteils den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 25 „Industriegebiet nördlich d. Mittellandkanals”, dessen Genehmigung am 30. April 1974 öffentlich bekannt gemacht wurde. Der Bebauungsplan Nr. 25 setzt den größten Teil der westlich der A.-B.-Str. gelegenen Fläche als Industriegebiet (GI) und die Flächen auf beiden Seiten unmittelbar entlang dieser Straße als Gewerbegebiet (GE) fest. Im Osten der A.-B.-Str. schließt sich an die Festsetzung Gewerbegebiet (GE) ein Mischgebiet (MI) an.
Der Rat der Klägerin beschloss am 17. November 1994 die Aufstellung und am 25. September 1997 den Bebauungsplan Nr. 96 „Gewerbepark A.” nach Prüfung der eingegangenen Bedenken und Anregungen als Satzung sowie die dazu gehörige Begründung einschließlich Grünordnungsplan. Im Bebauungsplan Nr. 96 sollen im westlich der A.-B.-Str. gelegenen Gebiet einschließlich des dort bisher als Industriegebiet festgesetzten Bereichs im Wesentlichen 13 Flächen als Gewerbegebiete mit unterschiedlichen Ausnutzungsgraden festgesetzt werden (GE1 bis GE13). Dabei erfasst die im südwestlichen Teil des bislang festgesetzten Industriegebiets vorgesehene Gewerbefläche GE13 (ca. 4,4 ha) einen Teil des Betriebsgeländes der Firma E. GmbH & Co. KG – im Folgenden Firma E. genannt –, auf dem diese eine Sonderabfallbehandlungsanlage einschließlich zahlreicher Nebeneinrichtungen betreibt (z.B. Hochtemperaturverbrennungsanlage (HTVA) einschließlich der Messwarte, die Kleinstmengenbehandlung für besonders überwachungsbedürftige Kleinmengen aus Haushaltungen, Universitäten und der Industrie, und das stickstoffinertisierte Hochregellager mit seinem rechnergestützten Regalförderfahrzeug für 1.680 Sonderabfall-AS-Behälter). Außerdem gehört ein großer Teil der vorgesehenen Gewerbefläche GE10 (ca. 4,8 ha) zum Betriebsgelände der Firma E.. Nr. 1.2 der textlichen Festsetzungen setzt für das Gewerbegebiet flächenbezogene Schallleistungspegel (für das GE13 einen Nachtwert von 60 dB(A)/ m² sowie Geruchskontingente (für das GE 13 17,8 MGE/h bei einem Volumenstrom von 200.000 m³/h) fest. Für das Gewerbegebiet GE13 enthält der Bebauungsplan die Festsetzung „Fläche gemäß § 1 (10) BauNVO”. So können beispielsweise Erweiterungen, Änderungen und Erneuerungen von Anlagen zur teilweisen oder vollständigen Beseitigung von Sonderabfällen durch thermische Verwertung (Nr. 1.1 tir. 1 der textlichen Festsetzungen) ausnahmsweise zugelassen werden, wenn bestimmte in den textlichen Festsetzungen näher bezeichnete Voraussetzungen erfüllt sind. Östlich der A.-B.-Str. soll der südliche Bereich nur noch als Mischgebiet festgesetzt werden.
Mit einem beim Beklagten am 29. Januar 1998 eingegangenen Schreiben zeigte die Klägerin den Satzungsbeschluss (erneut) an, nachdem sie zuvor die Anzeige des Satzungsbeschlusses vom 22. Dezember 1997 mit Schreiben vom 28. Januar 1998 zurückgezogen hatte.
Mit Bescheid vom 30. März 1998 versagte die Bezirksregierung Weser-Ems die am 2. Januar 1998 beantragte Genehmigung der vom Rat der Kläger...