Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfordernis des Zugangs einer Ausfertigung der Notarkurkunde auch für den Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen, einem Abwesenden gegenüber abgegebenen Willenserklärung, die der notariellen Beurkundung bedarf, ist der Zugang einer Ausfertigung der Notarkurkunde erforderlich (BGH, Urteil vom 7. Juni 1995 zu VIII ZR 125/94 = NJW 1995, 2217, zitiert nach juris); das gilt auch für den Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1967 zu III ZB 18/67= BGHZ 48, 374 -385, zitiert nach juris). Das bloße Vorzeigen der in der Ausfertigung verkörperten Willenserklärung bewirkt nicht dessen Zugang (RG, Urteil vom 24. November 1903 - II 148/03 -, RGZ 56, 262-265 (hier: 263/264).
2. Wird zu Lebzeiten des Erblassers dessen Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament dem anderen Ehegatten nur in Form einer beglaubigten Abschrift der Notarurkunde zugestellt, und erfolgt nach dem Tod des Erblassers eine von der Notarin veranlasste Zustellung einer Ausfertigung der notariell beurkundeten Widerrufserklärung, kann diese die Wirksamkeit des Widerrufs der wechselbezüglichen Verfügung nicht mehr bewirken, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Ehegatte nach dem Gesetz nicht mehr damit zu rechnen brauchte, dass das gemeinschaftliche Testament noch wirksam widerrufen werden würde (hier mehr als zwei Monate nach dem Tod des Erblassers und bereits erfolgter Erbschaftsannahme des überlebenden Ehegatten).
Normenkette
BGB § 2271 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Holzminden (Aktenzeichen 9 VI 25/24) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 200.000 EUR
Gründe
I. Auf Antrag des Beteiligten zu 1 vom 15. Januar 2024 auf "amtliche Inverwahrnahme und Antrag auf Kontensperrung" hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24. Januar 2024 Nachlasspflegschaft angeordnet. Es bestehe ein Sicherungsbedürfnis für den Nachlass, weil die Erben unbekannt bzw. die Erbschaftsannahme ungewiss seien. Vorliegend habe die Erblasserin zwei Testamente errichtet, ein notarielles gemeinschaftliches Testament mit ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 1, am 26. September 2006, in dem sie ihren Ehemann als Alleinerben berufen hat, sowie ein notarielles Einzeltestament vom 8. Juni 2022, in dem sie den Beteiligten zu 2 als Alleinerben eingesetzt hat. Ebenfalls am 8. Juni 2022 habe die Erblasserin den Widerruf ihrer letztwilligen Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament notariell beurkunden lassen (vgl. Bl. 18 ff. der Testamentsakten 9 IV 294/22 Amtsgericht Holzminden). Mit Anwaltsschreiben vom 15. Januar 2024 habe der Beteiligte zu 1 die Wirksamkeit des Widerrufs angezweifelt, weil ihm der Widerruf nur als beglaubigte Abschrift, jedoch nicht in der notwendigen Form als Ausfertigung zugestellt worden sei. Bis zur Klärung der Angelegenheit sei der Nachlass zu sichern.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht die Nachlasspflegschaft mit Beschluss vom 27. März 2024 (Bl. 64 d.A.) aufgehoben.
Dagegen wendet der Beteiligte zu 1 sich mit der Beschwerde, mit der er die erneute Sicherung des Nachlasses durch Anordnung einer Nachlasspflegschaft begehrt.
Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, dass für die Wirksamkeit eines Widerrufs zwar die Zustellung einer Ausfertigung der Widerrufserklärung erforderlich sei. Es sei belegt, dass nur eine beglaubigte Abschrift an den Beteiligten zu 1 zugestellt worden sei. Jedoch gelte der Widerruf gemäß § 132 Abs. 1 BGB als zugegangen, weil er durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers nach den Vorschriften der ZPO zugestellt worden sei.
II. Im Ergebnis hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Es ist keine Nachlasspflegschaft einzurichten, weil der Erbe nicht unbekannt i.S. des § 1960 BGB ist.
1. Die Anordnung einer Nachlasspflegschaft kommt nur (noch) dann in Betracht, wenn der Erbe vom Standpunkt des Nachlassgerichts (bzw. Beschwerdegerichts) bei der Entscheidung über die Anordnung der Nachlasspflegschaft ungewiss ist und das Gericht sich nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - IV ZB 23/11 -, zitiert nach juris, dort Rn. 13). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
a) Vorliegend kommen nur die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben in Betracht. Es sind zur Feststellung, ob die Erblasserin die den Beteiligten zu 1 bedenkende letztwillige Verfügung im gemeinschaftlichen Testament wirksam widerrufen hat, keine umfangreichen Ermittlungen mehr erforderlich. Der Sachverhalt steht fest, es sind nur noch Rechtsfragen zu klären, die der Senat hinsichtlich der Wirksamkeit des Widerrufs aber anders als das Amtsgericht beurteilt, was dazu führt, dass der Beteiligte zu 1 Alleinerbe ist.
aa) Der Gerichtsvollzieher hat dem Beteiligten zu 1 ...