Entscheidungsstichwort (Thema)

Aushändigung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an Schuldner statt an Drittschuldner als Ersatzzustellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Aushändigung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses über Arbeitslohn oder dessen Abänderungsbeschlusses an den Arbeitnehmer (Schuldner) im Geschäftsbetrieb des Drittschuldners ist in entsprechender Anwendung von § 185 ZPO keine wirksame Ersatzzustellung.

2. Überprüft der Gerichtsvollzieher anhand des zuzustellenden Beschlussinhalts nicht, ob der Empfänger in einem offenkundigen Interessenkonflikt mit dem Zustellungsadressaten steht und ob eine entsprechende Anwendung von § 185 ZPO in Betracht kommt, begeht er schuldhaft eine Amtspflichtverletzung.

 

Normenkette

ZPO § 178 Abs. 2 n.F., §§ 183, 185, 829 a.F.; GG Art. 34; BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 2 O 235/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.6.2001 verkündete Urteil der 2. Kammer des LG Hannover aufgehoben und das beklagte Land verurteilt, an den Kläger 901,92 Euro nebst Zinsen hinaus i.H. v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 18.12.2000 zu zahlen.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des beklagten Landes beträgt 901,92 Euro.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird abgesehen (§§ 543 Abs. 1 ZPO a.F., 26 Ziff. 5, 7, 8 EGZPO).

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadenersatz im Wege der Amtshaftung wegen eines Vermögensnachteils, der ihm dadurch entstanden ist, dass der Drittschuldner im Rahmen eines Lohnpfändungsverfahrens keine Kenntnis von dem Inhalt eines geänderten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erhalten hat, weil der Gerichtsvollzieher das Schriftstück zustellungshalber dem Schuldner im Geschäftsbetrieb des Drittschuldners ausgehändigt hat. Das LG Hannover hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, eine Amtspflichtverletzung liege nicht vor, weil die Zustellung gem. § 183 BGB wirksam erfolgt sei. Hiergegen wendet sich der Kläger. Die Berufung hat Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht ggü. dem beklagten Land ein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in der erkannten Höhe zu.

1. Der Gerichtsvollzieher hat mit der Ersatzzustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 28.12.1999 sowie des Abänderungsbeschlusses vom 28.1.2000 an den Schuldner an Stelle des Drittschuldners eine Amtspflicht verletzt:

a) Die Ersatzzustellung i.S.v. § 183 ZPO an „Gegner” des Zustellungsadressaten ist gem. § 185 ZPO unzulässig. Zwar ist der Schuldner bei einer Zwangsvollstreckung in Forderungen nicht der prozessuale Gegner des Drittschuldners. Indes ist nach ganz herrschender Meinung (zum Meinungsstand s. Hinweise in Hamme, NJW 1994, 1035 Fn. 2) in Rechtsprechung und Literatur in diesen Fällen eine entsprechende Anwendung des § 185 ZPO geboten:

Schutzzweck der Norm ist nicht nur – wie das LG meint – der Schutz des Zustellungsadressaten vor den Folgen eines Zugangs ohne Kenntnis (entsprechend RG 87, 412 [414]; LG Bonn DGVZ 1998, 12; Roth in Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 829, Rz. 56), sondern auch der Schutz des Zustellers vor der außergewöhnlichen Gefahr einer Manipulation oder versäumten Weiterleitung durch den Empfänger, die auch im Falle der Ersatzzustellung an einen Schuldner typischerweise gegeben ist (BGH v. 11.7.1983 – II ZR 114/82, GmbHR 1984, 101 = MDR 1984, 222 = NJW 1984, 57; BAG v. 3.7.1980 – 3 AZR 1077/78, MDR 1981, 436 = NJW 1981, 1399; OLG Köln JMBl. NRW 2002, 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 185 Rz. 1; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 185 Rz. 3; Wieczorek, ZPO-Kommentar, § 185 Rz. B Ic, Zöller/Stöber ZPO, 21. Aufl., § 829 Rz. 14). Dafür spricht auch die amtliche Begründung zur Einführung des § 185 ZPO. Darin heißt es, dass die den damals gültigen Vorschriften zu Grunde liegende Erwartung, ein dem Empfänger zugestelltes Schriftstück werde auch demjenigen ausgehändigt, für den es bestimmt sei, in der Praxis nicht in Erfüllung gehe, wenn der Empfänger Prozessgegner des Adressaten sei. Das Zustellungsreformgesetz vom 25.6.2001 ist von diesem Gedanken nicht abgewichen. Jedenfalls ist der Wortlaut nahezu unverändert in § 178 Abs. 2 ZPO n.F. übernommen worden. Auch die aktuelle Gesetzesnovelle gibt keinen Anlass, von der bisherigen überwiegenden Rechtsprechung Abstand zu nehmen.

Im Übrigen wird auch von der Gegenauffassung eine Ersatzzustellung an einen Streitgenossen der Parteien für nicht zulässig erachtet. Die Interessenlage eines Schuldners im Forderungsvollstreckungsverfahren ist aber nicht wesentlich unterschiedlich, was § 841 ZPO deutlich macht (BAG v. 3.7.1980 – 3 AZR 1077/78, MDR 1981, 436 = NJW 1981, 1399). Die abweichende Ansicht ist außerdem zu einem Zeitpunkt entwickelt worden, als es die Heilungsmöglichkeit des § 187 ZPO noch nicht gab (Wieczorek, ZPO-Kommentar, § 185 Rz. B Ic) und Zustellungsmängel zu Lasten d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?