Leitsatz (amtlich)
1. Um die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII zu begründen, kommt es entscheidend darauf an, ob eine betriebliche (betriebsbezogene) Tätigkeit vorliegt, die dem Schädiger von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen wird oder von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wird. Ob der Schädiger Betriebsangehöriger ist und insoweit dem Weisungs- und Direktionsrecht des Inhabers des Unfallbetriebs bzw. dessen Bevollmächtigten unterliegt und ob er die Fürsorgepflicht des Unfallbetriebs beanspruchen kann, ist hierfür unbeachtlich.
2. Bei der beruflichen Ausbildung bilden die vorgeschriebenen Prüfungen den natürlichen Abschluss der Ausbildung und sind deren Bestandteil, unabhängig davon, wo die Abschlussprüfung stattfindet und welche Stelle sie abnimmt. Eine Fahrt zum Prüfungsort dient damit der Ausbildung. Sie kann betriebliche Tätigkeit sein.
Normenkette
SGB VII §§ 105, 8
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 30.10.2009; Aktenzeichen 4 O 71/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Hannover vom 30.10.2009 abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.433,42 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.3.2009 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren übergangsfähigen Kosten zu ersetzen, die auf das Unfallereignis vom 23.4.2004 auf der B 192/Klein Warin zurückzuführen sind und bei dem die bei der Klägerin versicherte E. K., geb. am ..., verletzt wurde.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren übergangsfähigen Kosten zu ersetzen, die auf das vorgenannte Unfallereignis zurückzuführen sind und bei dem die bei der Klägerin versicherte O. F., geb. S., geb. am ..., verletzt wurde.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht als gesetzlicher Unfallversicherungsträger ggü. der Beklagten vertragliche Ansprüche aufgrund eines Teilungsabkommens und - dies ist streitig - aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X wegen eines Verkehrsunfalls am 23.4.2004 geltend.
Die bei der Klägerin versicherte K. nahm zum damaligen Zeitpunkt an einer von dem Arbeitsamt Schwerin geförderten Ausbildung zur Kosmetikerin teil. Bildungsträger war die Firma ..., Schwerin. Am Unfalltag sollte vor der Handwerkskammer in Rostock die Abschlussprüfung abgelegt werden. Zu dieser Prüfung wollte die bei dem Unfall verletzte Frau K. fahren. Die Prüflinge hatten nicht nur selbst zur Prüfung zu kommen und die Prüfung abzulegen, sondern auch entsprechende Modelle zur Prüfung mitzubringen. Im verunfallten Pkw befanden sich neben der Kandidatin K. eine weitere (bei dem Unfall getötete) Lehrgangsteilnehmerin und drei Modelle, nämlich die ebenfalls bei dem Unfall verletzte Frau F., die Unfallfahrerin N. - die bei der Beklagten versichert ist - sowie eine weitere Person, die ebenfalls bei dem Unfall zu Tode kam. Der Unfall kam unstreitig dadurch zustande, dass Frau N. einem anderen Pkw die Vorfahrt nahm, für den der Unfall unvermeidbar war.
Die Klägerin möchte die von ihr für Frau K. sowie für Frau F. erbrachten Leistungen von der Beklagten erstattet erhalten. Sie ist der Ansicht, die Beklagte könne sich nicht auf ein Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII berufen. Der Unfall sei nicht auf einem Betriebsweg i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB VII, sondern auf einem versicherten Weg gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geschehen. Es habe auch keine betriebliche Tätigkeit i.S.d. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vorgelegen. Deshalb seien die Ersatzansprüche auf die Klägerin übergegangen gem. § 116 Abs. 1 SGB X.
Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht und in Verbindung mit dem Teilungsabkommen zu, weil der Unfall unstreitig (Bl. 4 und 85 d.A.) von der Klägerin als Arbeitsunfall anerkannt worden ist und die Klägerin dabei davon ausgegangen sei, dass für die Verletzte K. als Lehrgangsteilnehmerin gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII und für die Verletzte F. als Modell gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Versicherungsschutz bestand. Ein Forderungsübergang gem. § 116 SGB X habe aber in keinem Fall stattgefunden. Denn soweit es sich bei dem Unfall um einen Betriebswegeunfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII gehandelt habe, könne sich die Schädigerin N. auf das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII berufen; ein Forderungsübergang scheide dann aus. Habe es sich dagegen um einen sog. Wegeunfall gem. § 8 Abs. 2 SGB VII gehandelt, hätten den Verletzten K. und F. zwar Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zugestanden, diese seien aber gem. §§...