Entscheidungsstichwort (Thema)
Personenbeförderung in Fahrradrikscha
Leitsatz (amtlich)
›§ 21 Abs. 3 StVO kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hierunter auch eine dreirädrige, mehrspurige und durch Muskelkraft angetriebene Fahrradrikscha fällt.‹
Verfahrensgang
AG Leipzig (Entscheidung vom 25.02.2004; Aktenzeichen 224 OWi 506 Js 78559/03) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leipzig hat den Betroffenen am 25. Februar 2004 wegen eines "fahrlässig begangenen Verstoßes gegen die Vorschrift über die Personenbeförderung" (§ 24 StVG, §§ 21 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 20 StVO) zu einer Geldbuße von 5,00 EUR verurteilt.
Nach den Feststellungen des Gerichts befuhr der zur Tatzeit 38-jährige Betroffene am 12. Juni 2003 mit einer sogenannten Fahrradrikscha in Leipzig den Thomaskirchhof. Bei der Fahrradrikscha handelte es sich um ein dreirädriges, mehrspuriges Gefährt, das in seinem vorderen Teil einem herkömmlichem Fahrrad gleicht und über ein Rad verfügt. Hinten saßen zwei erwachsene Personen unterhalb eines Verdecks. Diese Personen hatten bauartbedingt keine Möglichkeit, selber zu treten.
Mit dem form- und fristgerecht eingelegten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde strebt der Betroffene eine Überprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts an. Er meint, eine Fahrradrikscha stelle kein Fahrrad im Sinne des § 21 Abs. 3 StVO dar.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Die Subsumtion einer Fahrradrikscha unter § 21 Abs. 3 StVO entspreche der Rechtslage und werde auch in der Literatur vertreten. Bedarf zur Fortbildung des Rechts bestehe deshalb nicht.
II.
Mit Beschluss vom heutigen Tag hat der Senat für Bußgeldsachen - Der Einzelrichter - die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen; der Senat entscheidet über die Rechtsbeschwerde nunmehr in der Besetzung mit drei Richtern.
Die entscheidungserhebliche Frage, ob eine Fahrradrikscha der Vorschrift es § 21 Abs. 3 StVO unterfällt, ist - soweit ersichtlich - noch nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zum Freispruch des Betroffenen.
Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Vorschrift verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 71, 108 [114]; 73, 206 [234]; 92,1 [12] m.w.N.). Gleiches gilt für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (vgl. BVerfGE 81, 132 [135]; 87, 399 [411]).
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (BVerfGE 1, 299; 11, 126; 48, 256).
Die Bestimmung des § 21 Abs. 3 StVO kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ihr auch eine mehrspurige, dreirädrige Fahrradrikscha unterfällt.
1. Der Gesetzgeber hat dem Begriff "Fahrrad" bisher keinen speziellen Sinn gegeben. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) definiert den Begriff "Fahrrad" nicht. Auch andere gesetzliche Bestimmungen geben keine Erläuterung.
Artikel 1 Buchstabe l des Übereinkommens vom 08. November 1968 über den Straßenverkehr (BGBl. II 1977, 811) bezeichnet als "Fahrrad" zwar jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei Rädern, das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird. Der Gesetzgeber hat jedoch bei der gemäß Art. 59 Abs. 2 GG notwendigen Ratifizierung des Übereinkommens in Art. 1 Abs. 2 des Vertragsgesetzes vom 21. September 1977 (BGBl. II 1977, 809) dem Übereinkommen mit der Maßgabe zugestimmt, dass - mit Ausnahme hier nicht einschlägiger Regelungen - die Bestimmungen des Übereinkommens innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finden. Das vorhergehende Internationale Abkommen über Kraftfahrzeugverkehr vom 24. April 1926 (RGBl. II 1930, 1233) enthielt keine Definition.
2. Die grammatische Auslegung des Begriffes "Fahrrad" lässt die Subsumtion einer mehrspurigen Fahrradrikscha unter diesen Begriff noch zu.
Einerseits wird unter dem Begriff "Fahrrad" ein zweirädriges, einspuriges Fahrzeug, das mit Muskelkraft durch Tretkurbeln angetrieben wird, verstanden (Der Brockhaus, 1997, Band 4). Andererseits wird aber auch ein zwei-, oder dreirädriges, über Tretkurbeln angetriebenes Fahrzeug als "Fahrrad" beschrieben (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 1980, Band 8). In der Literatur und den Medien wird die Fahrradrikscha wegen ihres Einsatzes zur kommerziellen Personenbeförderung überwiegend als "Fahrradtaxi" oder "Velotaxi" bezeichnet.
3. Die systematische Auslegung von § 21 Abs. 3 StVO begründet allerdings Zweifel, ob auch die mehrspurige Fahrradrikscha von...