Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Automobilherstellers aus § 826 BGB für ein Fahrzeug, das mit einer unerlaubten Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, wenn der Hersteller den Motor nicht selbst entwickelt hat (hier: Haftung bejahrt).
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 5 O 2046/18) |
Tenor
I. Das Teilversäumnisurteil des Senats vom 04.06.2021, 9a U 588/20, wird in folgendem Umfang aufrechterhalten:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.504,70 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 20.105,82 EUR für die Zeit vom 24.01.2019 bis zum 10.12.2019,
aus 18.089,72 EUR für die Zeit vom 11.12.2019 bis zum 27.05.2021,
aus 16.820,61 EUR für die Zeit vom 28.05.2021 bis zum 09.09.2021 und
aus dem zugesprochenen Betrag seit dem 10.09.2021
Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi ..., Fahrzeugidentifikationsnummer ...,
zu zahlen.
II. Das weitergehende Teilversäumnisurteil wird aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Dies gilt nicht für die Kosten, die durch die Säumnis der Beklagten entstanden sind; diese trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der beklagten Fahrzeugherstellerin Schadensersatz im Hinblick auf ein von ihm erworbenes Fahrzeug, das vom sog. "Diesel-Abgasskandal" betroffen ist.
Er kaufte das Fahrzeug, einen Audi ... mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ..., am 04.04.2014 zum Preis von 29.980,00 EUR mit einer Laufleistung von 28.500 km. Das am 09.04.2013 erstzugelassene Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet.
Auf die weitere Darstellung des Sach- und Streitstandes wird verzichtet, weil gegen das Urteil kein Rechtsmittel zulässig ist (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 544 Abs. 2 ZPO).
II. Der Einspruch des Beklagten gegen das Teilversäumnisurteil des Senats vom 04.06.2021 führt zur Zurückweisung der Berufung des Klägers, soweit er sich wegen der zwischenzeitlich zurückgelegten Kilometer einen höheren Nutzungsvorteil anrechnen lassen muss. Darüber hinaus ist das Teilversäumnisurteil aufrechtzuerhalten, weil die Beklagte dem Kläger insoweit aus § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist.
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie des Senats ist anerkannt, dass ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig handelt, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt (BGH, Urteil vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19 -, Rn. 19, juris; grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris; Senat, Urteil vom 07.04.2020 - 9a U 2423/19 -, juris).
Dementsprechend haftet die Volkswagen AG - die Muttergesellschaft der Beklagten - gegenüber den Fahrzeugerwerbern auf Schadensersatz aus § 826 BGB wegen des Inverkehrbringens von Fahrzeugen mit dem von ihr entwickelten Dieselmotor EA189, in dessen Motorsteuerung eine Umschaltlogik implementiert war (BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O.).
Auch wenn die Beklagte, wie sie geltend macht, an der strategischen Entscheidung der Volkswagen AG nicht mitgewirkt hat, kommt gleichwohl ein sittenwidriges Vorgehen in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19 -, Rn. 21, juris).
2. Davon, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, hat der Senat auszugehen. Denn es sind hinreichende Anhaltspunkte gegeben, die auf eine Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten hindeuten. Die Beklagte ist ihrer sich daraus ergebenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass der Vortrag des Klägers, die Beklagte habe von der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst, als unstreitig zu behandeln ist.
a) Im Grundsatz trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzung...