Leitsatz (amtlich)
Zu den Pflichten eines Altenpflegeheims, wenn die zeitweise verwirrte, hochbetagte Heimbewohnerin innerhalb eines Monats drei Mal zur Nachtzeit aufsteht und in ihrem Zimmer stürzt und gleichwohl zu geeigneten Maßnahmen der Sturzprophylaxe - hier: nächtliches Hochziehen des Bettgitters - ihre Einwilligung versagt.
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 26.03.2004; Aktenzeichen 14 O 3013/03) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des LG Dresden vom 26.3.2004 abgeändert. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Krankenkasse begehrt vom Beklagten als Betreiber eines Pflegeheims in Dresden aus übergegangenem Recht der bei ihr krankenversicherten (nachfolgend: Geschädigte) die Erstattung von verauslagten Behandlungskosten nach einem Sturz der Geschädigten.
Die im Jahre 1915 geborene Geschädigte lebte seit 4.3.1997 im Pflegeheim des Beklagten in Dresden und erhielt dort vollstationäre Pflege. In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10.12.1996 (Anlage K 4) wurde die Geschädigte in die Pflegestufe II eingestuft. Unter der Rubrik "funktionelle Einschränkungen des ZNS und der Psyche" heißt es in dem Gutachten u.a.:
"Zeitweise schwere Schwindelzustände bei Kleinhirnatrophie mit Stürzen,...".
Vorangegangen waren drei Stürze der Geschädigten im Jahre 1996, bei denen sie sich u.a. eine Trümmerfraktur des linken Schultergelenks zugezogen hatte.
Das Zimmer der Geschädigten im Pflegeheim lag ggü. dem Zimmer der Pflegekräfte, dessen Tür immer offen stand. Die Geschädigte wurde vom Pflegepersonal der Beklagten ständig aufgefordert, das Personal zu rufen, wenn sie z.B. zur Toilette gehen oder das Bett verlassen wollte. Sie war in der Lage, zu diesem Zweck die im Zimmer befindliche Klingel zu betätigen und nutzte diese Möglichkeit auch häufig. Teilweise rief sie auch nach einer Schwester. In vielen Fällen beschloss sie jedoch, Dinge noch völlig selbständig durchzuführen, wie beispielsweise den Toilettengang. Auf die Frage, warum sie bei den selbständig verrichteten Tätigkeiten nicht um Hilfe gebeten habe, erklärte die Geschädigte, sie wolle ihre Dinge soweit wie möglich alleine regeln. Die regelmäßig gestellte Frage, ob nachts zur eigenen Sicherheit das Bettgitter hochgezogen werden solle, verneinte die Geschädigte, weil sie die Toilette ohne Begleitung benutzen wolle. Das Pflegepersonal des Beklagten versuchte die bestehende Gefährdung infolge nächtlichen Aufstehens dadurch zu kompensieren, dass ein Toilettenstuhl an das Bett der Geschädigten gestellt und im Bad das Licht angelassen wurde.
Nachdem in erster Instanz die Parteien vorgetragen haben, die Geschädigte sei Anfang des Jahres 2000 zwei Mal gestürzt, ist Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig geworden, dass die Geschädigte am 28.1., am 31.1. und am 24.2.2000 jeweils in ihrem Zimmer gestürzt ist. Alle drei Stürze wurden vom Nachtdienst des Pflegeheims ohne nähere Zeitangaben dokumentiert. Nach dem Sturz am 31.1.2000 wurde die Geschädigte nach Schmerzen im Oberarm in die Chirurgie überwiesen, wo aber keine Fraktur festgestellt wurde.
Am 9.3.2000 stürzte die Geschädigte gegen 22.30 Uhr in ihrem Zimmer ein weiteres Mal. Zuvor war die für den Beklagten tätige Pflegekraft W nach der Dienstübergabe, die in der Zeit von 21.45 Uhr bis 22.00 Uhr stattfindet, im Zimmer der Geschädigten. Diese hatte bereits im Bett gelegen, war jedoch gerade im Begriff aufzustehen. Sie hatte die Angewohnheit, sich abends noch einmal an den Tisch zu setzen. Da das Bett der Geschädigten zerwühlt war, richtete Frau W das Bett, woraufhin sich die Geschädigte wieder zum Schlafen legte. Frau W löschte das Licht und verließ das Zimmer. Nach kurzer Zeit hörte sie ein Geräusch im Zimmer und fand die Geschädigte neben ihrem Bett liegend. Noch am Tage des Unfalls hatte Frau W die Geschädigte gefragt, ob das Bettgitter hochgezogen werden sollte. Die Geschädigte lehnte das - wie auch an den anderen Tagen zuvor - ab. Neben dem Bett befand sich wie üblich ein Nachtstuhl. In dem von Frau W ausgefüllten Unfallfragebogen der Klägerin heißt es zur Unfallursache:
"Hbw war sehr verwirrt, stand wieder von alleine auf und stürzte. Das war um 22.30 Uhr. Sie rief um Hilfe. Ich fand sie liegend vor dem Bett."
Bei dem Sturz am 9.3.2000 verletzte sich die Geschädigte schwer. Sie zog sich Frakturen des Halswirbelkörpers C1/C2 mit Lähmung aller vier Extremitäten, eine rispiratorale Insuffienz (kein richtiges selbständiges Atmen mehr möglich) und eine Lungenentzündung zu. Sie wurde noch am 9.3.2000 in das Krankenhaus D.-F. verbracht, wo sie am 7.6.2000 verstarb.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Kosten für die stationäre Behandlung der Geschädigten im Krankenhaus hätten sich auf 167.958,54 DM belaufen. Einschließlich weiterer Kosten für den Krankentransport, die Versorgung mit Arz...