Leitsatz (amtlich)
1. Erhöhte Anforderungen an die Darstellung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Insolvenzschuldners folgen aus der in der Präambel der VO(EG) Nr. 1346/2000 (dort zu 4) enthaltenen Begründung, dass im Interesse eines ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarkts sog. "forum shopping" verhindert werden muss.
2. Maßgeblich für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer natürlichen Person ist der Lebensmittelpunkt, der einen Aufenthalt erfordert, der zumindest auf eine bestimmte Dauer angelegt sein muss. Hinzu kommen müssen Umstände persönlicher bzw. beruflicher Art, welche die dauerhafte Beziehung zu dem Aufenthaltsort erst zum Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person erheben. Bei einem Selbständigen bedarf es eine gewissen Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit der gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit. Hierfür trifft den Insolvenzschuldner die - zumindest sekundäre - Darlegungslast.
3. Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit eines englischen Insolvenzgerichts zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Art. 16 ff. der VO(EG) Nr. 1346/2000 ist den deutschen Gerichten nicht entzogen, da gem. Art. 16/17 (nur) eine Art. 3 Abs. 1 entsprechende Eröffnung eines Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat (ohne irgendwelche Förmlichkeiten) die Wirkungen entfaltet, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt und insoweit der - materiell- bzw. verfahrensrechtliche - "ordre public"-Vorbehalt eingreifen kann.
4. Die angebliche Verlegung des Wohnsitzes bzw. des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nach drohender bzw. eingetretener Insolvenzreife ist regelmäßig indiziell suspekt. Es bedarf zur Entkräftung solcher Indizien für einen Rechtsmissbrauch der Darlegung nachvollziehbarer Gründe, weshalb der Insolvenzschuldner seinen Wohnsitz bzw. Interessenmittelpunkt verlegt haben will, warum er sich dafür einen anderen Mitgliedsstaat ausgesucht hat und ob er zuvor bereits dorthin (persönliche und/oder berufliche) Kontakte hatte sowie ähnlicher besonderer Umstände.
5. Auch die Prüfung der internationalen Zuständigkeit eines englischen Insolvenzgerichts zu sonstigen Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens bzw. die Prüfung der Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeit solcher sonstiger Entscheidungen eines englischen Insolvenzgerichts ist den deutschen Gerichten durch Art. 25/26 der VO(EG) Nr. 1346/2000 nicht entzogen, da Voraussetzung dafür die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung ist und zudem auch insoweit der - materiell- bzw. verfahrensrechtliche - ordre-public-Vorbehalt eingreifen kann.
6. Ein Vertrauensschutz des Insolvenzschuldners hinsichtlich einer von ihm rechtswidrig erschlichenen Gerichtszuständigkeit bzw. von darauf basierenden gerichtlichen Entscheidungen besteht im internationalen Recht ebenso wenig wie im nationalen Recht.
Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 21.02.2013; Aktenzeichen 3 O 104/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG K. vom 21.2.2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG K. vom 21.2.2013 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Die klageabweisende Entscheidung des LG beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
I. Der Kläger hat - wie vom LG im Ergebnis zutreffend festgestellt - keinen Anspruch darauf, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG Krefeld vom 27.11.2008 (3 O 209/08) gem. § 767 ZPO für unzulässig erklärt wird. Ein Erlöschen der darin vom LG Krefeld titulierten Forderung im Rahmen des in England vom Kläger durch Antrag vom 7.7.2009 betriebenen Insolvenzverfahrens (5 ff. GA) ist aus mehrfachen Gründen nicht feststellbar.
Es kann dahinstehen, dass das LG die angefochtene Entscheidung - insoweit in der Begründung rechtsfehlerhaft - auf Art. 102 EGInsO in der früher geltenden Fassung gestützt hat, obgleich diese Vorschrift durch das Gesetz vom 14.3.2003 (BGBl. I, 345) - insbesondere im Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 - erhebliche Änderungen erfahren hat, denn die Klage hat auch unter Anwendung der einschlägigen Vorschriften keinen Erfolg.
1. Der Kläger ist in beiden Instanzen bereits für die (internationale) Zuständigkeit des englischen Insolvenzgerichts (i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der hier anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 i.V.m. ihren Präambeln zu (15) und (32); vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl. 2012, Anh I Art. 1 EuGVVVG, Rz. 35 ff. m.w.N.) hinreichendes Vorbringen fällig geblieben.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000) sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitglied...