Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt ist gehalten, seinen Mandanten auf die Möglichkeit der Beantragung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO hinzuweisen, wenn er über dessen schlechte finanzielle Verhältnisse in Kenntnis gesetzt wird.
2. Der Mandant ist in einem solchen Fall darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit zur Beantragung von Prozesskostenhilfe besteht und im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren kein Anwaltszwang herrscht.
3. Diese Beratung ist vom Mandat als sich unmittelbar aus der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ergebenden, möglichen Kostenfolgen umfasst. Denn der Rechtsanwalt schuldet eine umfassende und möglichst erschöpfende Belehrung und hat dem Mandanten in den Grenzen des Mandats die Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind (st. Rspr. BGH, Urteil vom 13. Juni 2013 - IX ZR 155/11, Rn. 8 mwN).
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 16 O 116/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27. August 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 621,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. November 2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei ., die ab dem 28. August 2016 unter dem Namen S firmierte. Mit Abtretungsvereinbarung vom 29. Mai 2017 (Anlagenband I = im Folgenden AI, Bl. 1) trat S ihre Ansprüche aus einer mit der Beklagten am 20./21. Juli 2016 geschlossenen Vergütungsvereinbarung (AI, Bl. 2-3) an die Klägerin ab. Dem Mandat lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte hatte im Jahr 2011 eine weiterführende Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin bei einem staatlich anerkannten Institut in K, der A GmbH (im Folgenden: A), begonnen. Im November 2012 kam es zu Problemen, welche in einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln (Az. 19 Ca 5824/14) mündeten. (GA 31). Die Klägerin machte einen Zahlungsanspruch iHv EUR 13.376,00 sowie einen Anspruch auf Feststellung von Schadensersatzansprüchen gegen die A sowie zwei weitere Beklagte geltend. Die Höhe der zur Feststellung begehrten Ansprüche bezifferte die Beklagte mit EUR 120.000,00. Zunächst war die Beklagte, eine Diplom-Psychologin, in der rechtlichen Beratung und Vertretung durch die M (im Folgenden: Rechtsanwälte M). Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht war auf den 22. Juli 2016 anberaumt. Zuvor, nämlich am 6. Juni 2016, hatte sich die Beklagte bereits an S gewandt. Das Mandat wurde im Wesentlichen von Rechtsanwalt S bearbeitet. S schrieb am 8. Juni 2016 die Beklagte an, teilte die ersten Schritte mit und übersandte eine Vorschusskostenrechnung gem. § 9 RVG (AI, Bl. 14). In dem Anschreiben ist unter anderem ausgeführt: "Der Vorschussrechnung wird eine Vergütungsvereinbarung zu Grunde liegen, die wir Ihnen zeitnah übermitteln.". Gleichzeitig kündigte S für die Beklagte das an die Rechtsanwälte M erteilte Mandat (AI, Bl. 13). Neben der arbeitsgerichtlichen Vertretung sollte S auch Ansprüche gegen die Rechtsanwälte M verfolgen (vgl. Schreiben vom 8. Juni 2016, AI, Bl. 13). Rechtsanwalt S trug für S vor dem arbeitsgerichtlichen Termin am 22. Juli 2016 mit Schriftsatz vom 19. Juli 2016 in der Sache vor.
Die am 20./21. Juli 2016 geschlossene Vergütungsvereinbarung enthält Regelungen "für die laufende Rechtsberatung und die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung" seit dem Beginn der Mandatstätigkeit am 6. Juni 2016. Sie sieht einen Stundensatz von EUR 270,00 netto zu einem Abrechnungsintervall von 6 Minuten vor. Ferner ist eine Bürokostenpauschale von 2 % des jeweiligen mandatsbezogenen Nettoaufwands vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergütungsvereinbarung verwiesen.
Das arbeitsgerichtliche Verfahren in erster Instanz endete mit einem klageabweisenden Urteil vom 22. Juli 2016 (Anl. K 12, AI 84-95).
Am 3. August 2016 übersandte S der Beklagten eine Vergütungsrechnung nebst Stundenaufstellung für den Abrechnungszeitraum 6. Juni bis 31. Juli 2016 über EUR 11.938,08 (Anl. B4, AII, Bl. 9-12). Diese zahlte die Beklagte. Mit E-Mail vom 12. August 2016 (Anl. K 13, AI, Bl. 96) erläuterte die Beklagte gegenüber Rechtsanwalt S ihre finanzielle Situation, worüber die beiden nachfolgend am 15. August 2016 auch telefonierten. Rechtsanwalt S erklärte, er wolle der Be...