Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Haftung der BaFin wegen mangelhafter Bilanzkontrolle
Normenkette
BGB § 839 Abs. 1; WpHG §§ 106-108
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 02.06.2022; Aktenzeichen 2-20 O 35/22) |
Gründe
Die Berufung des Klägers gegen das am 2.6.2022 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 64.833,75 EUR festgesetzt.
A. Der Kläger nimmt die beklagte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachfolgend: Bundesanstalt oder Beklagte) wegen - vermeintlicher - Aufsichts- und Informationsversäumnisse sowie Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der seit Juni 2020 insolventen X AG auf Schadensersatz für Kursverluste von Aktien der X AG in Anspruch.
Die X AG, ein 1999 gegründetes, seit September 2018 dem Deutschen Aktienindex (DAX) zugehöriges Unternehmen, das gemeinsam mit diversen Tochterunternehmen informationstechnische Dienstleistungen im Zusammenhang mit elektronischem Zahlungsverkehr erbrachte, unterlag der Finanzaufsicht und der Bilanzkontrolle durch die Beklagte, war jedoch selbst kein Zahlungsdienstleister oder Kreditinstitut. Als Zahlungsdienstleister zugelassen war eine konzernangehörige britische Tochtergesellschaft (X1 Ltd), als Kreditinstitut zugelassen war eine deutsche Tochtergesellschaft, die X2 AG.
Der Kläger erwarb 2019 Aktien der X AG. Am 18.06.2020 gab die Abschlussprüferin A & B GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (nachfolgend: AB), die in den Jahren davor die Abschlüsse der X AG stets testiert hatte, im Rahmen der mehrfach verschobenen Veröffentlichung des Jahres- und Konzernabschlusses 2019 bekannt, dass über die Existenz von im Konzernabschluss zu konsolidierenden Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Mrd. Euro noch keine ausreichenden Prüfungsnachweise zu erlangen waren. Bereits zuvor hatte es Berichte über bilanzielle Unregelmäßigkeiten im Konzern gegeben, darunter insbesondere in der englischen Wirtschaftszeitung "Zeitung1", die bis in das Jahr 2008 zurückreichen. Für diese Unregelmäßigkeiten wurde maßgeblich das für das Asiengeschäft verantwortliche Tochterunternehmen der X AG in Stadt1 verantwortlich gemacht. Nach einer polizeilichen Durchsuchung von Büros der X AG in Stadt1 hatte die Beklagte am 15.02.2019 die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (nachfolgend: DPR) zur Prüfung von Verstößen der X AG gegen Bilanzrecht im Halbjahresfinanzbericht 2018 veranlasst, mit Allgemeinverfügung vom 18.02.2019 ein Leerverkaufsverbot für X-Aktien ausgesprochen, am 10.04.2019 Strafanzeige wegen des Verdachts auf Marktmanipulationen erstattet und am 15.04.2019 Geldbußen in Höhe von 1,52 Mio. Euro gegen die X AG verhängt, weil "der Halbjahresfinanzbericht für das Geschäftsjahr 2018 der Öffentlichkeit teilweise nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt wurde". Nachdem Ende April 2020 ein von der X AG in Auftrag gegebenes Sondergutachten der C veröffentlicht worden war, beauftragte die Beklagte die DPR mit der Prüfung des Konzernabschlusses der X AG und erstattete am 02.06. und am 18.06.2020 gegen Mitglieder des Vorstandes der X AG wegen des Verdachts von Marktmanipulation und Bilanzbetrug Anzeige. Am 22.06.2020 veröffentlichte der neue Vorstand der X AG eine Ad-hoc-Mitteilung, nach deren Inhalt es das Bankguthaben von 1,9 Mrd. Euro vermutlich nicht gebe. Drei Tage später stellte die X AG einen Insolvenzantrag.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe über Jahre ihre gesetzlichen Pflichten zur Aufklärung, Untersuchung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulationen der X AG und zur zutreffenden und vollständigen Information der Öffentlichkeit und des Kapitalmarktes verletzt. Sie habe konkrete Hinweise auf Verstöße der X AG gegen Rechnungslegungsvorschriften weder zum Anlass pflichtgerechter Prüfung noch sachgerechter Informationen der Öffentlichkeit genommen. Die Beklagte hätte die Bilanzkontrolle bei der X AG nach den §§ 106 ff. WpHG an sich ziehen können und im Hinblick auf die nicht ausreichenden Befugnisse und eine unzureichende personelle Ausstattung der primär für die Bilanzkontrolle zuständigen DPR auch müssen.
Der Kläger hat der Beklagten zudem einen Amtsmissbrauch vorgeworfen und diesen Vorwurf insbesondere auch darauf gestützt, dass Bedienstete der Beklagten selbst mit X-Aktien gehandelt hätten.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, keine drittschützenden Amtspflichten verletzt und keinen Amtsmissbrauch begangen zu haben. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- un...