Leitsatz (amtlich)
Zur Frage eines Behandlungsfehlers bei der Mandeloperation eines 6-jährigen Kindes, in deren Folge es zu einer Hirnschädigung kam.
Normenkette
BGB pVV; BGB § 823
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-18 O 258/02) |
Gründe
I. Der am ... 1991 geborene Kläger verlangt von dem beklagten Hals-Nasen-Ohren-Arzt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einer Mandeloperation vom 17.3.1998.
Der Kläger befand sich seit 1993 in Behandlung der Kinderärztin Dr. A. Im Dezember 1994 stellte er sich erstmals wegen wiederkehrender Mandelentzündungen bei dem Beklagten vor, der ihm empfahl, die Mandeln zu entfernen. Im darauffolgenden Jahr wurde der Kläger von dem HNO-Arzt Dr. B behandelt, der im November 1995 ebenfalls empfahl, die Mandeln zu entfernen. Am 3.1.1996 führte Dr. B ambulant eine sog. Adenotomie, d.h. die Entfernung der Rachenmandeln (Polypen) durch. Im Verlauf des Jahres 1996 trat eine akute Tonsillitis auf, es wurden vergrößerte Mandeln diagnostiziert. Nachdem die Mandeln im Dezember 1997 wieder stark vergrößert waren, verwies die Kinderärztin die Eltern des Klägers an den Beklagten.
Am 4.3.1998 fand ein Gespräch zwischen der Mutter des Klägers und dem Beklagten statt, im Rahmen dessen u.a. Atembeschwerden des Klägers geschildert wurden. Der weitere Inhalt dieses Gesprächs ist streitig. Die Eltern unterzeichneten am 15.3.1998 eine Einwilligungserklärung (Ablichtung Bl. 103 d.A.). Zwei Tage später operierte der Beklagte, der über Belegbetten in der X-Klinik verfügte, den Kläger durch eine Adenotonsillektomie und Paracentese. Der Kläger verblieb stationär in der X-Klinik. Am frühen Morgen des 21.3.1998 trat eine massive Nachblutung auf, die zu einer hypoxischen, irreparablen Hirnschädigung des Klägers führte.
Der Kläger hat dem Beklagten vorgeworfen, unsachgemäß operiert zu haben. Die Mandelentfernung sei nicht indiziert gewesen. Die Eltern des Klägers seien weder über die mit der Operation verbundenen Risiken noch über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Die Nachsorge des Beklagten sei unzureichend gewesen.
Das LG hat den in einem vorangegangenen Ermittlungsverfahren tätigen Sachverständigen Dr. SV1 zur Indikation der Operation befragt. Der Beklagte und die Mutter des Klägers sind zum Aufklärungsgespräch angehört worden. Dazu ist ebenfalls die damalige Sprechstundenhilfe des Beklagten, Frau Z1, vernommen worden.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Anhaltspunkte für einen Operationsfehler lägen ausweislich der im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft Frankfurt eingeholten medizinischen Gutachten nicht vor. Es sei auch nicht bewiesen, dass dem Beklagten Fehler bei der Nachsorge unterlaufen wären. Wegen der erheblich vergrößerten Mandeln des Klägers (sog. Tonsillenhyperplasie) sei die Operation indiziert gewesen. Der Beklagte habe die Eltern des Klägers über das Risiko einer Nachblutung aufklären müssen. Es sei zwar fraglich, ob das Aufklärungs- und Einwilligungsformular dieses Risiko hinreichend beschreibe. Darauf komme es jedoch nicht an, weil die Mutter des Klägers in einem Vorgespräch vom 4.3.1998 ausreichend darüber unterrichtet worden sei. Der Beklagte habe mit der Mutter des Klägers auch über den damals kurz zurückliegenden Fall eines anderen Kindes gesprochen, das auf Grund einer Nachblutung verstorben sei. Insoweit hat sich das LG auf die Aussage der Zeugin Z1 gestützt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 535-547 d.A.).
Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Er wirft dem LG eine fehlerhafte Beweiswürdigung vor. Die Aufklärung des Beklagten sei unzureichend gewesen. Das LG habe sich nicht auf die Aussage der Zeugin Z1 stützen dürfen, weil sie unglaubhaft und die Zeugin unglaubwürdig sei. Unabhängig davon könne nach der Aussage der Zeugin nicht von einer zutreffenden Aufklärung ausgegangen werden. Die Eltern des Klägers hätten die Belehrungen des Beklagten so verstehen können, dass die mit der Operation verbundenen Risiken durch einen stationären Aufenthalt beherrschbar seien. Die Mandeloperation sei nicht - zumindest nicht zwingend - indiziert gewesen. Das habe der Beklagte den Eltern des Klägers nicht hinreichend verdeutlicht.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und
1. an den Kläger zu Händen seiner Eltern ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 500.000 EUR) nach richterlichem Ermessen zu zahlen und
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der Operation vom 17.3.1998 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist, sowie dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere immaterielle Schäden zu ersetzen, die aus der vorgenannten Operation entstehen können.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zur...