Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung an juristische Personen
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn die in § 185 Nr. 2 ZPO genannten Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung an eine juristische Person erfüllt sind, ist das Gericht im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) gehalten, den Zustellungsempfänger unter einer aktenkundigen ausländischen Anschrift oder E-Mail-Adresse formlos von der Bewilligung der öffentlichen Zustellung in Kenntnis zu setzen; unterbleibt dies, liegen bei einer Säumnis der juristischen Person im Termin die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils nicht vor.
Normenkette
GG Art. 103; ZPO § 185
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.04.2017; Aktenzeichen 2-3 O 415/15) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6. April 2017 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das im schriftlichen Vorverfahren durch öffentliche Zustellung zugestellte Versäumnisurteil der Kammer vom 10.06.2016 als unzulässig verworfen. Es hatte die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils am 10.06.2016 bewilligt. Das Versäumnisurteil wurde daraufhin am 07.07.2016 an die Gerichtstafel angeheftet und am 16. August 2016 abgenommen. Bereits am 22.10.2015 hatte die Beklagte einen Umwandlungsbeschluss gefasst, wonach die Gesellschaft von einer GmbH in eine S.a.r.l. nach luxemburgischem Recht umgewandelt wurde und eine Sitzverlegung nach Luxemburg beschlossen wurde. Am 20.07.2016 erfolgte die Eintragung der Gesellschaft nach Umwandlung und Sitzverlegung in das luxemburgische Handelsregister. Erst am 14.11.2016 erfolgte die Eintragung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter gleichzeitiger Änderung der Rechtsform in das beim Amtsgericht Stadt1 geführte Handelsregister.
In seiner Entscheidung hat das Landgericht Frankfurt am Main ausgeführt, die Anordnung der öffentlichen Zustellung sei gemäß § 185 Nr. 2 ZPO zulässigerweise erfolgt. Das erkennende Gericht habe den Anforderungen des § 185 Nr. 2 ZPO Genüge getan, indem es den Versuch unternommen habe, an die Beklagte unter der Adresse in Stadt2 wie auch an nach dem Erlas des Versäumnisurteils klägerseits genannten potentiellen inländischen Zustellungsmöglichkeiten zuzustellen. Eine Zustellung im Ausland sei nicht zu bewirken gewesen. Ein solches Erfordernis stünde im Widerspruch zu der mit der Novellierung des Gesetzes verfolgten Intention, die öffentliche Zustellung in Missbrauchsfällen zu erleichtern.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte verweist darauf, dass sie bereits am 22. Oktober 2015 ihren Sitz nach Luxemburg verlegt habe; diese Sitzverlegung sei am 20.07.2016 im luxemburgischen Handelsregister eingetragen worden. Daher sei eine öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht rechtens gewesen. Im Übrigen bestünden gegen die Anwendung des § 185 Nr. 2 ZPO im Falle einer - wie hier - bekannten Anschrift des Adressaten in einem anderen Mitgliedsstaat erhebliche europa- und verfassungsrechtliche Bedenken.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und das Versäumnisurteil vom 10.06.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das ohne mündliche Verhandlung unter dem 6. April 2017 erlassene Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abzuändern, der Beklagten wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.06.2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das genannte Versäumnisurteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten gegen das im schriftlichen Vorverfahren durch öffentliche Zustellung zugestellte Versäumnisurteil vom 10.06.2016 zu Unrecht als unzulässig verworfen. Denn die öffentliche Zustellung erfolgte verfahrensfehlerhaft, weil sie dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Artikel 103 Abs. 1 GG) nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
Zutreffend weist das Landgericht darauf hin...