Leitsatz (amtlich)
Hat ein Automobilhersteller das In-Kraft-Treten der EG-GVO Nr. 1400/2002 zum Anlass genommen, die Vertragshändlerverträge über den Neuwagenvertrieb zu kündigen und einem Teil der bisherigen Vertragshändler neue Verträge anzubieten, die nicht nur der Anpassung an die neue GVO, sondern auch der Umsetzung eines neuen Vertriebssystems, u.a. mit neuen Vorschriften über Margen, Boni und Prämien, über die verbindliche Vorgabe neuer Standards und über neue Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, dienen, so geht einem Vertragshändler, der das neue Vertragsangebot nicht annimmt, nicht in analoger Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB der Ausgleichsanspruch verloren.
Normenkette
HGB § 89b Abs. 3 Nr. 1; ZPO § 304
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.10.2004; Aktenzeichen 3/3 O 28/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. vom 20.10.2004 - Az: 3/3 O 28/04) aufgehoben.
Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Wegen des Betragsverfahrens wird der Rechtsstreit an das LG Frankfurt/M. zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Ausgleichszahlung gem. § 89b HGB nach Beendigung eines Vertragshändlerverhältnisses.
Die Klägerin war - zuletzt auf der Grundlage eines X-Händler-Formularvertrages vom 1.1.2000 - Vertragshändlerin der Beklagten. Wegen der Einzelheiten des Vertragsinhalts wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 20.3.2002 (Anlage K 2) kündigte die Beklagte das Vertragshändlerverhältnis mit Wirkung zum 30.9.2003. Zur Begründung führte sie u.a. aus, sie werde im Rahmen der Reorganisation und Neuausrichtung von X. das Vertriebsnetz restrukturieren. In Zukunft würden ca. 470 Händlerbetriebe und ca. 1850 Standorte den deutschen Automobilmarkt betreuen. Weitere Ziele der Netzrestrukturierung stellten die Neuausrichtung des Margensystems, die Änderung der Grundlagen für das Geschäft mit Großkunden und Gewerbetreibenden sowie die Neudefinition künftiger Standards dar. Schließlich wurde auf den "jetzt vorliegenden Kommissionsentwurf" einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) hingewiesen. Die darin enthaltenen Regelungen würden, so heißt es in dem Schreiben, sollten sie in der endgültigen Fassung bestehen bleiben, weitere erhebliche Umstrukturierungen erforderlich machen. Gleichzeitig teilte die Beklagte mit, dass es ihre Absicht sei, den Händlern nach dem Ergebnis der Neustrukturierung die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses anzubieten. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen.
Die Klägerin lehnte den Abschluss des ihr angebotenen neuen Vertragshändlervertrages ab und führte lediglich noch einen X.-Servicebetrieb weiter. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.12.2003 verlangte sie erstmals einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB (Anlage K 5).
Die Beklagte hat eine Zahlung abgelehnt.
Mit ihrer daraufhin erhobenen Zahlungsklage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 354.740,60 EUR nebst 5 % Jahreszinsen hieraus seit dem 1.10.2003, sowie i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bestritten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Klägerin stehe ein Ausgleichsanspruch nach Maßgabe des § 89b Abs. 3 Ziff. 1 HGB nicht zu, weil sie sich wegen der Ablehnung eines Neuabschlusses behandeln lassen müsse, als ob sie das Vertragsverhältnis ohne begründeten Anlass gekündigt hätte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 174 ff. d.A.).
Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie rügt, das LG habe wesentliche Teile des Klagevortrags nicht ausgeschöpft und die gefestigte Rechtsprechung des BGH zum Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB nicht richtig angewendet. Insbesondere habe das LG nicht berücksichtigt, dass die Anpassung der Verträge an die GVO 1400/02 kein hinreichender Grund zur Umstrukturierung und zur Kündigung bestehender Vertragshändlerverträge sei und die Beklagte die Anforderungen an die Händler in den neu abzuschließenden Händlerverträgen wesentlich erhöht und die Konditionen wesentlich verschlechtert habe.
Zu Unrecht habe das LG auch darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung des BGH (BGH) bei einem Kettenvertragsverhältnis die Ablehnung einer neuen Vertragsofferte der Eigenkündigung gleichstehen könne. Vorliegend habe kein Kettenvertragsverhältnis bestanden. Der Händler habe nach der Rechtsprechung des BGH auch einen Ausgleichsanspruch im Falle einer Änderungskündigung. Kausal für die Kündigungserklärung sei nicht die neue GVO gewesen, sondern der Umstand, dass die Beklagte ihr Händlernetz habe ausdünnen wollen. Die...