Entscheidungsstichwort (Thema)
Beratungspflicht des Notars über möglichen Anfall von Grunderwerbssteuer
Leitsatz (amtlich)
1. Die Amtspflichten des Notars zur Rechtsbelehrung (§ 17 Abs. 1 BeurkG) und zur allgemeinen Betreuung der Beteiligten (§ 14 Abs. 1 BNotO) erstrecken sich in der Regel nicht auf die steuerlichen Folgen des zu beurkundenden Geschäfts. Etwas anderes gilt nur, wenn die Steuerfolgen das geplante Rechtsgeschäft unmittelbar berühren oder wenn der Notar nach den besonderen Umständen des Einzelfalls Anlass zu der Vermutung haben muss, einem Beteiligten drohe ein Schaden vor allem deswegen, weil er sich infolge mangelnder Kenntnis der Rechtslage der Gefahr nicht bewusst ist.
2. Ein Notar ist nicht verpflichtet, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, aufgrund derer ihm der Inhalt jedweder Urkunden bei späteren Amtshandlungen gegenwärtig ist (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2009 - III ZR 135/08, Rn. 2, juris).
3. Dem Notar ist die Kenntnis eines in der gleichen Kanzlei tätigen Notars zum Inhalt von Rechtsgeschäften, die dieser beurkundet hat, nicht zuzurechnen, denn jeder Notar ist nur allein Träger seines Amtes. Auch die Kenntnis des gemeinsamen Kanzleimitarbeiters ist dem Notar nicht analog § 166 BGB zuzurechnen, wenn der Mitarbeiter das entsprechende Wissen nicht im Zusammenhang mit der Vorbereitung der durch den beklagten Notar beurkundeten Urkunde erlangt hat, sondern im Zusammenhang mit der Beurkundung eines anderen Rechtsgeschäfts durch einen anderen Notar derselben Kanzlei.
4. Die Pflichten des Notars aus § 18 GrEStG dienen nicht dem Schutz der Interessen der Urkundsbeteiligten. Sie haben keinen drittschützenden Charakter, sondern der Notar erfüllt insoweit ausschließlich eigene Pflichten gegenüber der Finanzverwaltung. Der potentiell steuerpflichtige Urkundsbeteiligte wird durch die Erklärungs- und Anzeigepflicht des Notars nach § 18 GrEStG nicht von einer eigenverantwortlichen Prüfung der steuerlichen Relevanz des Erwerbsvorgangs befreit (Anschluss an OLG Hamm, Urteil vom 15. September 2021 - I 11 U 5/21).
Normenkette
BeurkG § 17 Abs. 1; BGB § 166; BNotO §§ 14, 19; GrEStG § 18
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 27.07.2021; Aktenzeichen 7 O 1426/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 27. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Das Urteil des Landgerichts wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 73.110,92 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von dem beklagten Notar Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 73.110,92 EUR wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung im Zusammenhang mit der Beurkundung und dem Vollzug eines Anteilskaufvertrages, in dessen Folge sie mit Grunderwerbssteuer belastet worden ist.
Wegen der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Beklagten keine Amtspflichtverletzung zur Last falle. Den Notar treffe grundsätzlich keine Beratungspflicht hinsichtlich steuerrechtlichen Folgen des Rechtsgeschäfts. Etwas Anderes gelte nur dann, wenn der Notar im Zusammenhang mit dem beurkundeten Rechtsgeschäft über steuerrechtliche Fragen berate und dabei eine unrichtige, unklare oder nicht erkennbar unvollständige Auskunft erteile. Zudem könne den Notar eine Warnpflicht mit Blick auf die steuerrechtlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts treffen, wenn die Steuerpflicht Folge eines Gestaltungsvorschlages des Notars sei oder dieser erkenne, dass sich ein Beteiligter einer Steuerpflicht nicht bewusst sei. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte ausdrücklich schon in den Urkundenentwurf aufgenommen, dass er keine steuerliche Beratung erteile. Unstreitig sei eine solche auch nicht erfolgt. Auch sei nicht vorgetragen, dass im vorliegenden Fall die Steuerpflicht Folge eines Gestaltungsvorschlags des Notars sei. Weiterhin lasse sich nicht feststellen, dass der Beklagte erkannt habe, dass sich ein Beteiligter einer Steuerpflicht nicht bewusst sei. So lasse sich schon nicht feststellen, dass dem Beklagten die Stellung der Klägerin als Alleingesellschafterin der X GmbH bekannt gewesen sei. Vielmehr sei die vorhergehende Beurkundung, aus der sich dieser Umstand ergeben habe, von einem anderen Notar, wenn auch aus der gleichen Kanzlei, vorgenommen worden. Dies führe jedoch nicht dazu, dass dem Beklagten solche Umstände bekannt waren oder bekannt sein mussten, weil ihm allenfalls Tatsachen...