Leitsatz (amtlich)
1. Die durch ein rechtskräftiges Erkenntnis unter Anwendung des § 27 JGG begründete jugendgerichtliche Zuständigkeit wirkt über § 47 a JGG im Nachverfahren gem. §§ 62, 30 JGG auch dann fort, wenn sich vor oder im Zuge des Nachverfahrens herausstellt, dass der als Jugendlicher Angeklagte im Zeitpunkt der Tatbegehung bereits Erwachsener war.
2. Aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung nach § 27 JGG verbleibt es auch für diesen Fall bei den Rechtsfolgenmöglichkeiten nach § 30 JGG, wobei im Falle der Verhängung von Jugendstrafe ein modifizierter, an Prognosegesichtspunkten orientierter Prüfungsmaßstab anzulegen sein wird.
3. Die Hauptverhandlung im Nachverfahren nach §§ 62, 30 JGG hat gegen einen zur Tatzeit erwachsenen Angeklagten in öffentlicher Sitzung zu erfolgen.
Verfahrensgang
AG Detmold (Aktenzeichen 3 Ls 42 Js 943/07-594/07) |
Tenor
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieser Revision - an eine andere als Jugendschöffengericht zuständige Abteilung des Amtsgerichts Detmold zurückverwiesen.
2.
Die Revision des Angeklagten wird auf dessen Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 21.02.2008 hatte das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Detmold den Angeklagten unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen zweier Taten vom 10.03.2007 und 01.05.2007 der Körperverletzung in 2 Fällen für schuldig befunden und gem. § 27 JGG die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zu Bewährung ausgesetzt.
Als Geburtsdatum des im Jahr 2004 als alleinreisender 14-jähriger jugendlicher Asylbewerber in die Bundesrepublik eingereisten Angeklagten hatte das Amtsgericht den 10.03.1990 zugrundegelegt.
Am 18.09.2009 verurteilte das Landgericht Detmold den Angeklagten unter seinem nunmehr bekannt gewordenen richtigen Geburtsdatum 10.03.1984 wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren.
Aufgrund dieser Verurteilung beschloss das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Detmold auf Antrag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen den Angeklagten gem. § 62 Abs. 1 JGG fortzusetzen.
Zu Beginn der nichtöffentlich geführten Hauptverhandlung bestätigte der Angeklagte sein nunmehr auf den 10.03.1984 korrigiertes Geburtsdatum, und mit Urteil vom 11.02.2010 erkannte das Amtsgericht gegen ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 2 Fällen auf eine Jugendstrafe von 6 Monaten.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft Detmold, der die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beigetreten ist, sowie die Revision des Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft erhebt in formeller Hinsicht die Rügen der Unzuständigkeit des Jugend(schöffen)gerichts sowie der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes infolge der Durchführung der Hauptverhandlung in nichtöffentlicher Sitzung.
In materieller Hinsicht beanstandet die Staatsanwaltschaft die tatrichterlichen Feststellungen zum Vorhandensein schädlicher Neigungen als unzureichend sowie die
- zu gering bemessene - Höhe der ausgeurteilten Jugendstrafe.
Der Angeklagte wendet sich mit der allein erhobenen Sachrüge gegen die Anwendung von Jugendstrafrecht im Verfahren insgesamt.
II.
Die zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hat - vorläufigen - Erfolg
und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendschöffengericht tätige Abteilung des Amtsgerichts Detmold (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO, 55 JGG).
Die Sprungrevision des Angeklagten ist unbegründet.
A.
Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt mit der zulässig erhobenen formellen Rüge der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, nicht jedoch mit der Rüge der Unzuständigkeit des Jugend(schöffen)gerichts durch.
1.
Eine zu einem absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 4 StPO führende sachliche Unzuständigkeit des Tatgerichts liegt nicht vor.
Grundsätzlich gilt, dass für die Anwendung von Jugendstrafrecht und die Einordnung des Angeklagten als Jugendlicher bzw. Heranwachsender das Alter zur Zeit der Begehung der Verfehlung maßgebend ist (Eisenberg, JGG, 14. Aufl. 2010, § 1 Rdn. 7; Ostendorf, JGG, 8. Aufl. 2009, § 1 Rdn. 7).
Dass der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten im hiesigen Verfahren bereits das Erwachsenenalter erreicht hatte - und demnach auch vor einem Erwachsenengericht anzuklagen gewesen wäre - war dem Tatgericht bei der Entscheidung vom 21.02.2008 unbekannt. An der durch diese Entscheidung begründeten und fortwirkenden Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts tritt auch nicht deswegen eine Änderung ein, weil das Tatgericht im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vom 11.02.2010 um das Erwachsenenalter des Angeklagten wusste.
a)
Im vorliegenden Fall ist das Urteil vom 11.02.2010 als Entscheidung im Nachverfahren nach § 30 JGG im Anschluss an die t...