Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 66 Ns 74/22) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten am 02.05.2022 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat diese im Berufungshauptverhandlungstermin am 09.12.2022 mit Zustimmung des Angeklagten zurückgenommen. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Landgericht Essen die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils war der Angeklagte bis zum Jahr 2020 Vorsitzender der AfD-Ratsfraktion der Stadt A und postete in diesem Zeitraum auf der Internetplattform Facebook sowohl allgemeine als auch politische Kommentare. Am 22.02.2017 las er einen Artikel auf der Internetseite "V..de", welcher sich seinerseits mit einem Artikel der Autorin B. J. befasste. In dem Artikel der Autorin B. J. sprach diese sich dafür aus, Opfer sexueller Gewalt als "Erlebende" zu bezeichnen, um so zu "höchstmöglicher Wertungsfreiheit" zu gelangen. In dem "V."-Artikel wurde dieser Vorschlag heftig kritisiert. Dieser Kritik schloss sich der Angeklagte an. Er postete bei Facebook folgenden Kommentar:
"Das ist das Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei. Negativ konnotierte Begriffe werden einfach umetikettiert. So wurde aus dem Neger ein Schwarzer, Farbiger und was weiß ich noch. Aus Zigeunern wurden Sinti und Roma (obwohl es zahlreiche andere Stämme gibt), dann Rotationseuropäer.
Aber was auch geändert wurde: die neuen Begriffe wurden dann immer wieder durch die Realität eingeholt und es mussten neue Bezeichnungen gefunden werden. Damit muss Schluss sein ...
Ein Eimer Scheiße wird immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen."
Den "V."-Artikel hängte der Angeklagte an diesen Kommentar an.
Das Landgericht wertete diese Äußerung als Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Bereits durch die Verwendung der Begriffe "Neger" und "Zigeuner", die mit einer besonderen Missachtung von Farbigen, Sinti und Roma verbunden seien, habe der Angeklagte die vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen in einer Weise beschimpft, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Zudem habe er seine Missachtung noch dadurch gesteigert, dass er die Bevölkerungsgruppen mit Fäkalien ("Eimer Scheiße") gleichgesetzt und dadurch deren Menschenwürde angegriffen habe.
Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil hat dieser durch seinen Verteidiger mit dem am 09.12.2022 auf elektronischem Wege beim Landgericht Essen eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Das Urteil ist dem Verteidiger am 17.01.2023 zugestellt worden. Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.02.2023, eingegangen auf elektronischem Wege am gleichen Tag, hat der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Schuldspruch nicht Stand.
1)
Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 StGB nicht.
a)
Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
Diese Tatbestandsalternative knüpft an Art. 1 Abs. 1 GG an und schützt damit den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 - 1 Ws 75/06 -, Rn. 18, juris m.w.N.). Das Angreifen der Menschenwürde anderer stellt hierbei ein einschränkendes Merkmal des Tatbestands dar, dem nicht die Funktion eines erweiterten Ehrschutzes zukommt (Fischer, 70. Aufl. 2023, § 130 StGB Rn. 12). Obwohl die Menschenwürde im Verhältnis zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, steht das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einer zu weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals Menschenwürde entgegen (BVerfG NJW 2001, 61, beck-online). Bloße Beleidigungen oder "einfache" Beschimpfungen reichen daher nicht aus, auch nicht jede ausgrenzende Diskriminierung. Vielmehr werden vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkei...