Leitsatz (amtlich)
1. Für die Ermittlung des Steuervorteils des auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Kindes aus einer auf der Grundlage einer Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten erfolgten Steuererstattung ist eine für jeden Ehegatten getrennt durchzuführende fiktiven Einzelveranlagung nach der Grundtabelle vorzunehmen.
2. Auch im Rahmen der Inanspruchnahme auf Zahlung von Elternunterhalt verwehrt die Kenntnis von der Unterhaltsverpflichtung oder das Rechnenmüssen damit bei der Be-gründung einer Verbindlichkeit dem unterhaltsverpflichteten Kind in der Regel eine Be-rufung auf seine völlige oder teilweise Leistungsunfähigkeit infolge der Schulden, es sei denn, es handelt sich um notwendige nicht anders finanzierbare Anschaffungen für den Beruf oder die allgemeine Lebensführung.
3. Davon nicht erfasst sind notwendige Aufwendungen des unterhaltsverpflichteten Kindes für Besuchsfahrten zu dem pflegebedürftigen Elternteil, von dem es auf Unterhalt in Anspruch genommen wird. Sie sind grundsätzlich nicht von dem dem Unterhalts-pflichtigen zu belassenden Selbstbehalt zu bestreiten.
4. Aufwendungen, die für die Haltung eines Tieres entstehen, die nicht dem Zwecke der Einkommenserzielung dient, sind auch bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt grundsätzlich von dem dem Unterhaltsschuldner zu belassenden Selbstbehalt zu be-streiten.
5. Der auf das unterhaltsverpflichtete Kind entfallende Wohnvorteil stellt einen in Geld messbaren Gebrauchsvorteil dar, der als Einkommen des Unterhaltspflichtigen zu be-rücksichtigen ist. Soweit dem Unterhaltspflichtigen aufgrund des mit der Zurechnung des Wohnvorteils verbundenen fehlenden Zuflusses realer finanzieller Mittel keine aus-reichenden Barmittel zur Deckung des eigenen Unterhaltsbedarfs verbleiben, kann die-sem Umstand im Wege der Durchführung einer Angemessenheitskontrolle begegnet werden.
6. Die vom BGH vorgeschlagene Berechnungsmethode zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit des auf Elternunterhalt in Anspruch verheirateten Kindes, dessen Einkommen dasjenige des anderen Ehegatten übersteigt (vgl. BGH, Urt. v. 28.7.2010 - XII ZR 140/07) ist auch auf den Fall anwendbar, dass das Einkommen des unterhaltsverpflichteten Kindes geringer ist als dasjenige des anderen Ehegatten.
Normenkette
BGB §§ 1601 ff.
Verfahrensgang
AG Hattingen (Beschluss vom 16.02.2012; Aktenzeichen 39 F 176/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der am 16.2.2012 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - Hattingen unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller für ihren am 20.4.1919 geborenen Vater G (verstorben am 24.6.2012) Unterhalt wie folgt zu zahlen:
a) für die Monate März bis August 2011 einen Unterhaltsrückstand i.H.v. 1.142,20 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.8.2011,
b) von September 2011 bis einschließlich Mai 2012 laufenden Elternunterhalt i.H.v. 418 EUR monatlich, abzgl. monatlich gezahlter 115,36 EUR und
c) für den Zeitraum vom 1. bis 24.6.2012 einen Unterhaltsbetrag von 334,40 EUR, abzgl. für Juni 2012 gezahlter 115,36 EUR.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt bis 6.000 EUR.
Gründe
A. Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin auf Zahlung von Elternunterhalt für ihren am 20.4.1919 geborenen Vater aus übergegangenem Recht für die Zeit von März 2011 bis zu dessen Tode am 24.6.2012 in Anspruch. Der Antragsteller ist Träger der öffentlichen Hilfe, welche dem Vater der Antragsgegnerin seit Dezember 2008 gewährt worden ist.
Der Vater der Antragsgegnerin befand sich in den letzten Jahren vor seinem Tod in einem Pflegeheim. Er erhielt Leistungen nach der Pflegestufe II, die seinen Pflegebedarf nicht abdeckten, sowie ergänzende Sozialleistungen von Seiten des Antragstellers. Sein durch eigene Einkünfte nicht gedeckter Pflegebedarf betrug in dem zur Überprüfung durch den Senat stehenden Zeitraum monatsdurchschnittlich 1.097,77 EUR. Er war verheiratet. Seine Ehefrau, die Mutter der Antragsgegnerin, war und ist nicht leistungsfähig. Sie bezieht fortlaufend Leistungen zur Grundsicherung.
Die Antragsgegnerin ist ebenfalls verheiratet. Sie arbeitet teilschichtig als Industriekauffrau bei der Fa. B GmbH in H. Ihre Arbeitsstelle erreicht sie mit ihrem Pkw, welchen sie in dem zur Beurteilung stehenden Zeitraum auch für wöchentliche Besuche in dem rund 72 Kilometer entfernten Pflegeheim bei ihrem Vater genutzt hat. Ihr entstehen monatliche Aufwendungen für die sekundäre Altersvorsorge i.H.v. rund 430 EUR (Beiträge für Lebensversicherungen bei der H, der C, für die Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft und für eine Betriebsrente bei der K e.V.) sowie für ein - vor der Pflegebedürftigkeit ihres Vaters - im November 2006 angeschafftes Reitpferd.
Der Eheman...