Entscheidungsstichwort (Thema)
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung in die Sterilisation einer Betreuten
Leitsatz (amtlich)
1) Werden die Verfahren auf Bestellung eines Betreuers für die Einwilligung in die Sterilisation (§ 1899 Abs. 2 BGB) und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung des Betreuers (§ 1905 BGB) zeitlich eng nacheinander durchgeführt, dann brauchen Verfahrenshandlungen gleichen Inhalts und Zwecks, wie die Bestellung von Sachverständigen und die persönliche Anhörung der Betroffenen, nicht doppelt vorgenommen zu werden.
2) Die Annahme eines der Sterilisation widersprechenden natürlichen Willens erfordert die Feststellung, dass der Betreute sich gegen die Sterilisation als solche wehrt. Richtet sich der Widerstand des Betroffenen gegen andere Beeinträchtigungen, so müssen die diesem Widerstand hervorrufenden Verhältnisse geändert werden.
Normenkette
BGB § 1899 Abs. 2, § 1905
Verfahrensgang
LG Detmold (Zwischenurteil vom 19.01.2000; Aktenzeichen 3 T 356/99) |
AG Lemgo (Zwischenurteil vom 12.03.1999; Aktenzeichen 9 VII 1562) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird teilweise aufgehoben. Die Erstbeschwerde der Beteiligten zu 3) gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 19. November 1999 wird als unzulässig verworfen.
Im übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die jetzt 21 Jahre alte Betroffene ist seit ihrer Geburt auf Grund einer Missbildung des Gehirns geistig schwer behindert und leidet außerdem seit dem 2. Lebensjahr an zum Teil sehr schweren epileptischen Krampfanfällen mit Bewusstlosigkeit, Schreien und tonisch-klonischen Zuckungen. Die medizinische Diagnose lautet: Dandy-Walker-Syndrom mit deutlicher Hypoplasie des Kleinhirnwurms, Hydrocephalus internus und Epilepsie. Mit ihr ist eine Kommunikation nur über einfachste Dinge möglich. Ihre Sätze sind auf einige wenige Worte beschränkt. Sie kann nicht schreiben oder rechnen und ist in allen Belangen des täglichen Lebens auf Hilfe angewiesen. Die Lernfähigkeit, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit sind extrem herabgesetzt. Ihre Selbständigkeit ist auf geringe Teilbereiche reduziert, eigenständige Willensäußerungen und Entscheidungen von größerer Tragweite kann sie nicht treffen, weil sie den Inhalt nicht versteht. Ihre Minderbegabung wird als irreversibel eingestuft. Sie leidet außerdem an einer Gehbehinderung (Spastik der Beine).
Die Betroffene, die aus neurologischer Sicht ihr Leben lang Medikamente gegen epileptische Anfälle einnehmen muss, wird vom Epilepsiezentrum in Bethel betreut und erhält zur Zeit eine Doppelbehandlung mit Ergenyl (Valproinsäure) und Lamictal (Lamotrigin). Es ist noch nicht gelungen, sie anfallsfrei zu bekommen.
Seit dem 6. Lebensjahr lebt die Betroffene in einer Pflegefamilie, bei der auch vier geistig behinderte Pflegesöhne im Alter zwischen 18 und 21 Jahren untergebracht sind. Sie masturbiert häufig und hat ein großes Bedürfnis an Zuwendung. Sie sucht ständig Hautkontakt zu allen ihr vertrauten Personen, insbesondere zu dem 21jährigen Mitbewohner Sascha, den sie morgens regelmäßig unbekleidet aufsucht. Mit ihm und einem anderen behinderten jungen Mann schmust sie häufig intensiv. Ob es dabei schon zum Beischlaf gekommen ist, ist noch nicht festgestellt worden. Eine gynäkologische Untersuchung war bislang nicht möglich, weil die Betroffene, die eine regelmäßige Menstruation hat, jede körperliche Untersuchung durch einen Arzt ablehnt.
Durch Beschluss vom 25.10.1996 richtete das Amtsgericht für die Betroffene eine umfassende Betreuung ein und bestellte deren zu 3) beteiligte Mutter zur Betreuerin.
Diese regte am 23.12.1996 die Bestellung eines besonderen Betreuers für die Entscheidung über die Einwilligung in eine Sterilisation der Betroffenen an. Nach Erholung von medizinischen Sachverständigengutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie-Psychotherapie R… vom 29.10.1998 und der Nervenärztin B… vom 01.03.1999, das sich auf die medizinischen, psychologischen, sozialen, sonderpädagogischen und sexualpädagogischen Gesichtspunkte der Steilisation erstreckte, sowie eines Berichtes der Betreuungsstelle des Kreises Lippe vom 09.12.1998 lehnte das Amtsgericht am 12.03.1999 die Bestellung eines besonderen Betreuers ab. Hiergegen legten die Beteiligten zu 3) und die Betreuungsstelle Beschwerde ein. Das Landgericht hörte die Betroffene im Beisein der für sie bestellten Verfahrenspflegerin am 31.08.1999 an. Mit Beschluss vom 02.09.1999 wies es das Amtsgericht unter Abänderung des Beschlusses vom 12.03.1999 an, einen besonderen Betreuer für die Entscheidung über die Einwilligung in die Sterilisation zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin die Beteiligte zu 4) zur besonderen Betreuerin.
Diese hat mit Schriftsatz vom 16.11.1999 die vormundschaftliche Genehmigung ihrer Einwilligung in die Sterilisation beantragt. Mit Beschluss vom 19.1.1.1999 hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2) zum Verfahrenspfleger bestellt und gleichzeitig die beantragte Genehmigung abgelehnt.
Hiergegen habe...