Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 115 O 199/20) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 03.01.2022 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 350.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus einer Pflegetagegeldversicherung und um eine Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung seitens der Beklagten.
Ende Juni 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung.
Zu diesem Zeitpunkt war seine Ehefrau schwanger. Untersuchungen, die am ungeborenen Kind durchgeführt worden waren, hatten den Verdacht eines hypoplastischen Linksherzsyndroms ergeben, was dem Kläger bei Antragstellung ebenso bekannt war wie der Umstand, dass dies zu einer (schwerwiegenden) Pflegebedürftigkeit des Kindes führen könnte. Seitens der behandelnden Ärzte waren dem Kläger aber auch andere mögliche Szenarien genannt worden, insbesondere ein Versterben des Kindes vor oder kurz nach der Geburt oder eine operative Versorgung, etwa mittels einer Organspende.
Eine Frage danach, ob im Rahmen einer bei Antragstellung schon bestehenden Schwangerschaft der Verdacht auf eine vorgeburtliche Schädigung des Kindes bestand, enthielt das Antragsformular nicht.
Die Beklagte nahm den Antrag des Klägers an.
Dem Vertrag, der im Falle der Pflegebedürftigkeit die Zahlung eines Pflegetagesgeldes von 175,- EUR pro Tag vorsieht, liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Pflegetagegeldversicherung Teil I und Teil II zugrunde. § 3 Abs. 2 dieser AVB regelt Folgendes:
"Besteht bei der A am Tag der Geburt für mindestens einen Elternteil eine Pflegetagegeldversicherung, ist die A verpflichtet, dessen neugeborenes Kind ab Vollendung der Geburt ohne Risikozuschläge zu versichern, wenn die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach dem Tag der Geburt rückwirkend zum Tag der Geburt erfolgt. In diesem Fall besteht Versicherungsschutz auch für Geburtsschäden sowie angeborene Krankheiten und Gebrechen. Diese Verpflichtung besteht nur insoweit, als der beantragte Versicherungsschutz des Neugeborenen nicht höher und nicht umfassender als der des versicherten Elternteils ist."
Am 15.10.2019 wurde der Sohn des Klägers und seiner Ehefrau geboren. Trotz einer noch im Oktober 2019 durchgeführten Operation ist das Kind pflegebedürftig. Ein privater medizinischer Dienstleister stellte einen Pflegegrad 4 ab Geburt fest.
Die Beklagte versicherte den Sohn des Klägers auf einen entsprechenden Antrag hin zunächst nach und erbrachte auch vertragsgemäße Leistungen. Im Februar 2020 stellte sie die Leistungen jedoch wieder ein und forderte den Kläger auf, Unterlagen zur pränatal durchgeführten Diagnostik vorzulegen.
Im Mai 2020 erklärte die Beklagte die Anfechtung ihrer auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung rückständigen und künftigen Pflegetagegeldes, die Rückzahlung geleisteter Prämien, die Feststellung des Wegfalls der Verpflichtung zur Prämienzahlung, die Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsvertrages und schließlich die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten begehrt. Er hat behauptet, er habe gegenüber einer Sachbearbeiterin der Beklagten telefonisch den Herzfehler des Kindes schon vor Antragstellung erwähnt. Die Sachbearbeiterin habe daraufhin ausdrücklich die Versicherbarkeit des Kindes bejaht.
Die Beklagte hat widerklagend die Rückzahlung erbrachter Leistungen begehrt.
Das Landgericht hat der Klage - bis auf die Ansprüche auf Rückzahlung der Prämien und Feststellung des Wegfalls der Verpflichtung zur Prämienzahlung - stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Vertrag bestehe trotz der Anfechtungserklärung der Beklagten fort. Es fehle bereits an einer Täuschung durch den Kläger. Unstreitig habe die Beklagte nicht nach vorgeburtlichen Diagnosen gefragt. Eine Pflicht zur spontanen Offenbarung der ärztlichen Diagnosen habe für den Kläger nicht bestanden. Die pauschale Nachversicherungsmöglichkeit in § 3 Abs. 2 AVB zeige vielmehr, dass der Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes für den Versicherer nicht maßgeblich sei. Das Verhalten des Klägers sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Es stehe nicht fest, dass er den Vertrag zielgerichtet nur deshalb abgeschlossen habe, um Ansprüche für sein noch ungeborenes Kind zu sichern. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der Anträge, des Tenors und der Begründung des Urteils wird auf dieses Bezug genommen (Bl. 195 ff. d...