Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassensystem als "erforderliche Unterlage" im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB
Leitsatz (amtlich)
1. Die vertragliche Übernahme von Verpflichtungen bzgl. der Bewältigung von Datentransfers, der Akzeptanz subsidiärer Zahlungsmittel (u.a. Kredit- oder Bezahlkarten) sowie bzgl. der Überwachung der Füllstände in den Kraftstofftanks durch den Handelsvertreter führt nicht zur Erweiterung des Begriffs der Erforderlichkeit im Sinn von § 86a Abs. 1 HGB.
2. Ist die Vereinbarung bzgl. der entgeltlichen Überlassung eines Kassensystems im Hinblick auf die sog. Preisübermittlungsfunktion dieses Systems unwirksam und führt dies nach den Maßstäben der ergänzenden Vertragsauslegung (s. Urt. des BGH vom 17.11.2016, Az. VII ZR 6/16, Tz. 40) lediglich zur Teilunwirksamkeit, kann die Bemessung der vorzunehmenden Entgeltkürzung nach dem Anteil der auf die Preisübermittlungsfunktion entfallenden Programmierung (sog. lines of code) ermittelt werden.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 812; HGB § 86a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 13 O 59/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.6.2017 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Bochum teilweise abgeändert;
die Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 548,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, mindestens jedoch in Höhe von 5 Prozentpunkten, seit dem 5.4.2016 zu zahlen;
die weitergehende Berufung der Beklagten sowie die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin betreibt einen sog. Autohof in I. Auf dem Gelände befindet sich auch eine Tankstelle, an der sie vom 00.07.2010 bis Ende November 2015 als Handelsvertreterin Kraft- und Schmierstoffe für die Beklagte verkaufte. Die Tankstelle selbst hatte sie nicht von der Beklagten gepachtet, jedoch mit ihr einen "Tankstellenvertrag (DoDo)" abgeschlossen, der auszugsweise wie folgt lautete:
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3. Abwicklung
3.1 Partner darf die Agenturwaren nur gegen Barzahlung oder von B zugelassene oder ausgegebene Gutscheine oder sonstige, von B ausdrücklich zugelassene Tank- und Kreditkarten (ec-, T&E- und andere Karten) unter Beachtung der B-Sicherheitsstandards für den Kassenbetrieb (Anlage 5) verkaufen. B wird Partner über die zugelassenen Zahlungsmittel informieren und behält sich vor, diese jederzeit zu ändern. Einzelheiten sind in Anlage 6, Annahme, Abwicklung und Vergütung im Kartengeschäft geregelt.
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7. Buchführung / Abwicklung des Zahlungsverkehrs
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7.3 Partner ist verpflichtet, sämtliche Agenturgeschäftsvorfälle mit Angabe von Tag, Produkt, Menge, Nettopreis sowie bei allen Kartengeschäften Kartennummer, Inhaber und Herausgeber der Karte im Journal elektronisch zu erfassen ...
7.4 Partner räumt B das Recht ein, Daten aus dem Agenturgeschäft jederzeit aus der Tankstelle und/oder Abrechnungstechnik (z.B. Kassensystem) durch Einsatz eines modernen Managementsystems mit entsprechendem Kommunikationsmittel (z.B. Datenfernübertragung) abzurufen (nachvollziehbar für Partner) oder in diese einzuspeisen. Partner verpflichtet sich, dass das von ihm eingesetzte Kassensystem diesen Anforderungen entspricht.
Die hierfür benötigte Stromversorgung wird Partner auf seine Kosten sicherstellen.
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16. Schlussbestimmungen
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16.5 Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder teilweise unwirksam oder undurchsetzbar sein oder werden, werden die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit aller übrigen Bestimmungen dieses Vertrages davon nicht berührt. Eine unwirksame oder undurchsetzbare Bestimmung ist als durch diejenige wirksame und durchsetzbare Bestimmung ersetzt anzusehen, die dem von den Vertragsparteien mit der unwirksamen oder undurchsetzbaren Bestimmung verfolgten wirtschaftlichen Zweck am nächsten kommt.
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16.8 Folgende Anlagen sind Bestandteil dieses Vertrages:
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Anlage 9: Vereinbarung Kassensysteme (U 0000/0000/RAP)
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Ferner unterzeichneten die Parteien u.a. eine "Vereinbarung (Elektronik-System U ...)" (im Folgenden: Vereinbarung U ...). Gegenstand dieser Vereinbarung, ausweislich deren Ziff. 4 die Beklagte die Installationskosten und die "anfallenden Gebühren" zu tragen hatte, war die Miete eines näher definierten "Basissystems" bestehend aus "Backoffice" und "Point of Sale" sowie "1 Zusatzsystem(e) Point of Sale". Über dieses Kassensystem gingen auch die elektronischen Preisbestimmungen aus der Zentrale der Beklagten ein, die sodann automatisch an die Anzeigen am Preismast und an den Zapfsäulen weitergeleitet wurden. Die Miete belief sich monatlich auf 550,00 EUR (davon für den zweiten "Point of Sale" 150,00 EUR) zzgl. Umsatzsteuer, mithin auf 654,50...