Leitsatz (amtlich)
1. Sendet ein Rechtsanwalt über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an einen anderen Rechtsanwalt ein Schreiben, ist dieses dem Empfänger zugegangen, wenn das Dokument auf dem Server für den Empfänger abrufbereit während seiner üblichen oder etwaig darüber hinaus nach außen bekannt gegebenen Büroöffnungszeiten eingeht. Unerheblich für den Zugangszeitpunkt ist, wann die Benachrichtigungs-Email über den Eingang beim empfangenden Rechtsanwalt auf seinem E-Mail-Server eingegangen ist.
2. Tritt bei einem notariellen Grundstückskaufvertrag für einen Vertragspartner ein vollmachtlos handelnder Vertreter auf und fordert der andere Teil den Vertretenen gem. § 177 Abs. 2 BGB zur Erklärung über die Genehmigung auf, dann ist die Genehmigung dem Auffordernden nicht dadurch zugegangen, dass sie beim beurkundenden Notar eingegangen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Notar auch für diesen Fall zur Entgegennahme bevollmächtigt ist (vorliegend verneint).
Normenkette
BGB §§ 130, 177
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 9 O 123/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 02.02.2021 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die Beklagten Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz wegen Rücktritts von einem Grundstückskaufvertrag.
Die Beklagten sind Erben der am 00.00.0000 verstorbenen N. H. (im Folgenden Erblasserin), welche Eigentümerin eines Wohnungseigentums auf der K.-straße ##, ##### P. war. Für die Verstorbene wurde im November 2019 Herr L. X. G. als gesetzlicher Betreuer für Vermögensangelegenheiten bestellt.
Mit notariellem Vertrag vom 02.07.2020 (UR-NR. N01/20 des Notars Z. aus B.) schlossen die Klägerin durch den vollmachtlosen Vertreter E. V. und die Erblasserin, vertreten durch den gesetzlichen Betreuer Herrn G., einen Kaufvertrag über das vorgenannte Wohnungseigentum zu einem Kaufpreis i.H. von 144.000,00 EUR. Wegen der Einzelheiten des Notarvertrages wird auf die Anlage K 2, Bl. 18 ff. d.A. Bezug genommen.
Das Betreuungsgericht genehmigte mit Beschluss vom 30.07.2020 (Bl. 48 d.A.) den Vertrag für die Erblasserin. Der beurkundende Notar erhielt die Genehmigung am 04.09.2020.
Nachdem die beiden Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Erblasserin wegen einer von der Klägerin behaupteten Wohnflächenabweichung und eines behaupteten Feuchtigkeitsschadens, der nach Kaufvertragsabschluss aufgetreten sein soll, über eine Reduktion des Kaufpreises intensiv verhandelt hatten, forderten die Beklagten die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.03.2021 auf, sich innerhalb der gesetzlichen Frist über die Erteilung der Genehmigung zu erklären (Bl. 114 d.A.). Der Schriftsatz wurde am 05.03.2021 per beA übersandt und ging im Büro der Klägervertreterin am selben Tag ein. Die Klägerin genehmigte den Kaufvertrag mittels notariell beglaubigter Unterschrift am 16.03.2021 (Bl. 77, 78 d.A.). Am 16.03.2021 um 22.39 h erhielt die Beklagte zu 1 per E-Mail die Nachricht, der Vertrag sei genehmigt. Die Genehmigungserklärung ging beim den Kaufvertrag beurkundenden Notar am 22.03.2021 ein.
Die Klägerin erklärte unter dem 07.04.2021 den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Mit der Klage hat die Klägerin Schadenersatz geltend gemacht. Zur Begründung hat sie behauptet, die streitgegenständliche Wohnung habe zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung einen Feuchtigkeitsschaden aufgewiesen. Außerdem habe eine Wohnflächenunterschreitung aufgrund eines bauordnungsrechtlich nicht genehmigten Wintergartens vorgelegen. Der Rücktritt sei wegen der trotz Fristsetzung nicht beseitigten Mängel erfolgt.
Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, dass der Rücktritt ins Leere gegangen sei, weil die Klägerin den schwebend unwirksamen Vertrag nicht innerhalb der Frist des § 177 Abs. 2 BGB genehmigt habe. Sie haben zudem Grund und Höhe der von der Klägerin erhobenen Ansprüche bestritten.
Wegen der weiteren, den erstinstanzlichen Sachvortrag betreffenden Einzelheiten wird auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe den Kaufvertrag trotz vorheriger Aufforderung nicht innerhalb der Zweiwochenfrist genehmigt, weswegen ihr keine Ansprüche aus §§ 433, 434, 437, 280 BGB zustünden. Die Verhandlungen zwischen den Parteien beinhalteten keine endgültige Genehmigungsverweigerung der Klägerin mit dem Angebot, einen neuen Vertrag abzuschließen. Auf die wirksame Genehmigungsaufforderung im Schreiben vom 05.03.2021 habe die Klägerin nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 177 Abs. 2 S. 2 BGB reagiert. Innerhalb der Zweiwochenfrist se...