Leitsatz (amtlich)
Zum Nachweis einer Selbsttötung (durch den Lebensversicherer hier geführt) und zum Nachweis eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung (durch den VN nicht geführt).
Normenkette
VVG § 161
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 7 O 354/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.01.2016 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts ... wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 199.000,00 EUR aus einer Lebensversicherung ihres verstorbenen Ehemannes.
Der Versicherungsnehmer schloss bei der Beklagten u.a. eine Risikolebensversicherung ab. Ausweislich des Versicherungsscheins vom 10.11.2010 begann die Versicherung zum 01.12.2010. Der Versicherungsnehmer und die Beklagte vereinbarten für den Todesfall eine Versicherungsleistung in Höhe von 199.000,00 EUR; sie bezogen zudem die Allgemeinen Bedingungen für die Risikoversicherung (im Folgenden: ALB) in den Vertrag ein. Begünstigter des Versicherungsvertrages war der zum Zeitpunkt des Todes mit dem Versicherungsnehmer in gültiger Ehe lebende Ehepartner. Nach § 6 Abs. 2 ALB besteht bei vorsätzlicher Selbsttötung des Versicherungsnehmers vor Ablauf der Dreijahresfrist seit Abschluss des Versicherungsvertrages nur dann Versicherungsschutz, wenn nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Versicherungsscheine vom 10.11.2010 und vom 10.11.2012 einschließlich der Versicherungsbedingungen Bezug genommen.
Am 03.07.2013 verwies die Polizei den Versicherungsnehmer aus der ehelichen Wohnung, nachdem er eine gefüllte PET-Wasserflasche in Richtung der Klägerin geworfen und diese am Hals getroffen hatte. Am 06.07.2013 fuhr der Versicherungsnehmer in betrunkenen Zustand mit seinem Fahrzeug und geriet in eine Polizeikontrolle. Mit am 12.02.2013 erlassenen Beschluss wies das Amtsgericht - Familiengericht - C der Klägerin die eheliche Wohnung für die Dauer des Getrenntlebens zu. Es gab dem Versicherungsnehmer auf, die Wohnung zu verlassen und untersagte ihm, diese ohne Zustimmung der Klägerin zu betreten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Familiengerichts Bezug genommen (Aktenzeichen: AG C, 7 F 285/13). In der Folgezeit bezog der Versicherungsnehmer eine eigene Wohnung.
Der Versicherungsnehmer verstarb am 09.09.2013. Die von der Klägerin benachrichtigten Polizeibeamten fanden den Versicherungsnehmer tot auf. Bei Eintreffen der Polizei hing der Versicherungsnehmer, stranguliert mittels eines geflochtenen Seils, an einem Deckenhaken des Balkons im 1. Obergeschoss seiner Wohnung. Den Tod des Versicherungsnehmers stellte die Zeugin Dr. F als Notärztin fest. Die Ermittlungen vor Ort leitete der Zeuge D.
Mit ihrer Klageschrift vom 02.12.2014 hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 199.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2013 begehrt. Sie hat bestritten, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet hat. Sie hat ferner die Ansicht vertreten, dass die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Ermittlungen nicht ausgereicht hätten, um mit hinreichender Sicherheit eine vorsätzliche Selbsttötung des Versicherungsnehmers zu belegen. Sie hat ferner behauptet, dass der Versicherungsnehmer an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten habe. Wegen der erheblichen Alkoholisierung des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Tat und wegen einer schweren Depression sei die freie Willensbestimmung zur Zeit der Tat ausgeschlossen gewesen.
Die Beklagte hat behauptet, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet habe; es gebe keinen Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden. Sie bestreitet, dass sich der Versicherungsnehmer bei der Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe.
Das Landgericht hat die Klage nach der Vernehmung der Zeugen Dr. F und D abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der Risikolebensversicherung, weil die Leistungspflicht der Beklagten nach §§ 6 Abs. 2 ALB, 161 Abs. 1 S. 1 VVG ausgeschlossen sei. Der Tod des Versicherungsnehmers sei vor Ablauf von drei Jahren seit dem Vertragsschluss eingetreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet habe. Andere Möglichkeiten als eine Selbsttötung seien rein theoretischer Natur. Es fehle auch an einem Motiv für das Vo...