Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgung einer öffentlichen Zusatzversorgungskasse: Anerkennung einer Schwerbehinderung nach "vorzeitiger" Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente begründet keinen Anspruch auf Mehrleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsnehmer einer öffentlichen Zusatzversorgungskasse kann nach "vorzeitiger" Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente bei rückwirkender Anerkennung einer Schwerbehinderung und Erreichen des Renteneintrittsalters für Schwerbehinderte keine Herabsetzung des satzungsgemäß vorgesehen Rentenabschlags verlangen, wenn eine Neuberechnung satzungsgemäß den Erwerb weiterer Versorgungspunkte voraussetzt.
2. Die satzungsgemäße Festschreibung des Zugangsfaktors für die "vorzeitig" bezogene Erwerbsminderungsrente stellt mit Blick auf die Abweichung vom gesetzlichen Rentensystem, in dem gem. § 89 Abs. 1 SGB VI die (höhere) Altersrente wegen Schwerbehinderung zur Auszahlung kommt, keine unangemessene Benachteiligung iSd § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar. Die Satzung beruht auf den inhaltsgleichen Vorschriften des Tarifvertrags Altersversorgung und ist damit von der grundrechtlich geschützten Tarifautonomie gedeckt, bei deren Ausgestaltung nur Grundrechte und grundgesetzliche Wertentscheidungen als kollidierendes Verfassungsrecht zu beachten sind. Die Festschreibung des Zugangsfaktors verstößt nicht gegen Grundrechte aus Art. 14 und Art. 3 GG, weil sie mit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente und der Vereinfachung der Rentenberechnung sachlich gerechtfertigt ist und mit dem - im gesetzlichen Rentensystem nicht vorgesehenen - Höchstsatz der Minderung von 10,8 % auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt.
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 15.05.2014) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 15.5.2014 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Betriebsrente in Anspruch, die nach einem nur um 0,3 % verminderten Zugangsfaktor berechnet werden müsse, wie sie ihm als Schwerbehindertem auch von der Deutschen Rentenversicherung als Altersrente gewährt werde. Die Beklagte leistet dem Kläger stattdessen mit Blick auf ihre Satzung auch seit Erreichen der Altersgrenze für eine Altersrente als Schwerbehinderter (60 Jahre) eine Betriebsrente, die ebenso wie die zuvor gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung nach einem um 10,8 % gekürzten Zugangsfaktor berechnet ist.
Die maßgeblichen Normen der auf dem Tarifvertrag Altersversorgung für den Öffentlichen Dienst (ATV) beruhenden Satzung der Beklagten lauten wie folgt:
§ 30 Rentenarten
Die Kasse zahlt als Betriebsrenten:
a) Altersrenten für Versicherte
b) Erwerbsminderungsrenten für Versicherte
c) Hinterbliebenenrenten für Witwen, Witwer und Waisen der Versicherten
...
§ 31 Versicherungsfall und Rentenbeginn
(1) Der Versicherungsfall tritt am Ersten des Monats ein, von dem an der Anspruch auf gesetzliche Rente wegen Alters als Vollrente bzw. wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung besteht.
(2) Der Anspruch ist durch Bescheid des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuweisen.
...
§ 33 Höhe der Betriebsrente
(1) Die monatliche Betriebsrente errechnet sich aus der Summe der bis zum Beginn der Betriebsrente (...) erworbenen Versorgungspunkte.
(2)...
(3)...
(4) Die Betriebsrente mindert sich für jeden Monat, für den der Zugangsfaktor nach § 77 SGB VI herabgesetzt ist, um 0,3 v.H., höchstens jedoch um insgesamt 10,8 v.H.; der festgesetzte Abschlagsfaktor bleibt durch eine Neuberechnung nach § 38 unberührt.
...
§ 38 Neuberechnung
(1) Die Betriebsrente ist neu zu berechnen, wenn bei einer/einem Betriebsrentenberechtigten ein neuer Versicherungsfall eintritt und seit dem Beginn der Betriebsrente aufgrund des früheren Versicherungsfalls zusätzliche Versorgungspunkte zu berücksichtigen sind.
(2)...
Wegen der weiteren Regelungen wird auf die zur Akte gereichte Satzung der Beklagten, Anlage B 1 (Umschlag Bl. 33) und wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, auch der Anträge, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Minderung des Zugangsfaktors für die streitgegenständliche Betriebsrente ergebe sich aus § 33 Abs. 4 der Satzung der Beklagten, weil die Rente zunächst als Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen worden sei. Nach § 38 der Satzung bleibe der festgelegte Abschlagsfaktor durch eine Neuberechnung unberührt. Diese Regelung ergebe sich bei Auslegung der Satzung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
Die Wirksamkeit dieser Regelungen sei durch die Einwände des Klägers nicht in Frage gestellt. Zwar unterliege die Satzung der Beklagten als Allgemeine Versicherungsbedingungen grundsätzlich der richterlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307, 308 BGB. Allerdings finde diese eine Grenze in der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie ...