Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen der elterlichen Sorge und Anordnung der Vormundschaft bei einem aus Afghanistan stammenden Betroffenen, dessen Alter zweifelhaft ist.
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Beschwerdebefugnis des Jugendamts nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG in einem Verfahren auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge.
2. Die Frage, bis wann eine Person minderjährig ist und daher eines Vormundes bedarf, ist nach internationalem Privatrecht selbständig anzuknüpfen und entscheidet sich nach dem in Art. 7 Abs. 2 EGBGB normierten Geschäftsfähigkeitsstatut.
3. Ist in tatsächlicher Hinsicht fraglich, ob der Betroffene noch minderjährig ist, hat sich das Gericht unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten nach Möglichkeit Gewissheit bezüglich des tatsächlichen Alters des Betroffenen zu verschaffen. Lassen sich danach gleichwohl Zweifel an der Volljährigkeit nicht ausräumen, ist grundsätzlich zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen.
4. Fehlt es an einer zuverlässigen Telefonverbindung, genügen gleichwohl stattfindende gelegentliche Telefonate mit der in Afghanistan lebenden Mutter nicht, um davon ausgehen zu können, dass diese ihrer Sorgeverantwortung zuverlässig nachkommen kann.
Normenkette
BGB §§ 1674-1675, 1773-1774; EGBGB Art. 7; FamFG §§ 26, 59, 151, 162
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 20.03.2024; Aktenzeichen 43 F 3055/23) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 20.03.2024 (43 F 3055/23) in Ziffer 1 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
(1) Das Ruhen der elterlichen Sorge für den Betroffenen wird festgestellt.
(2) Vormundschaft wird angeordnet.
(3) Als Amtsvormund bestellt wird das
Jugendamt des Landratsamts...
(4) Die Vormundschaft endet mit Ablauf des 31.12.2024.
2. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für den aus .../Afghanistan stammenden Betroffenen, der ohne seine Eltern nach Deutschland eingereist ist. Das Jugendamt macht für den Betroffen ein seine Person betreffendes Fürsorgebedürfnis (Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge und Anordnung der Vormundschaft) geltend.
Der Betroffene K kam am 16.08.2023 in der Landeserstaufnahmestelle in ... an. Bei seiner Ankunft wurde er mit dem Geburtsdatum 01.02.2003 registriert. Am 28.09.2023 wurde der Betroffene zur vorläufigen Unterbringung der Gemeinschaftsunterkunft ... im Landkreis ... zugewiesen und gab dort an, minderjährig zu sein. Daraufhin wurde er am 02.10.2023 durch das Jugendamt ... vorläufig in Obhut genommen und ist seither in der Einrichtung ... in ... untergebracht. Das Jugendamt schätzte ihn aufgrund eines am 09.10.2023 durchgeführten Gesprächs zur Altersfeststellung als minderjährig ein. Der Betroffene verfügt über ein Foto seiner Tazkira, einem afghanischen Ausweisdokument, das Angaben zu seinem Alter enthält.
Mit Schreiben vom 09.11.2023 regte das Jugendamt ... beim Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg an, das Ruhen der elterlichen Sorge für den Betroffenen festzustellen und dem Betroffenen einen Amtsvormund zu bestellen.
Das Amtsgericht ordnete die Einholung eines schriftlichen Altersbestimmungsgutachtens des Sachverständigen ... an, welches dieser aufgrund einer am 01.02.2024 durchgeführten Untersuchung des Betroffenen unter dem 07.02.2024 vorlegte.
Nach persönlicher Anhörung des Betroffenen und der Vertreterinnen des Jugendamtes stellte das Amtsgericht Freiburg mit Beschluss vom 20.03.2024 fest, dass familiengerichtliche Maßnahmen nicht erforderlich seien. Zur Begründung ist ausgeführt, dass das Gericht nach Vornahme einer Würdigung des Vorbringens der Beteiligten, der Beweisaufnahme und des Akteninhalts aufgrund der Vornahme einer Gesamtschau davon überzeugt sei, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Entscheidung mindestens 18 Jahre alt sei.
Gegen diese ihm formlos übermittelte Entscheidung wendet sich das Jugendamt ... mit seiner Beschwerde vom 09.04.2024, die beim Amtsgericht Freiburg am 15.04.2024 einging. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Sachverständige Minderjährigkeit nicht ausgeschlossen habe und der Betroffene auch nach sozialpädagogischer Einschätzung der Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes noch kindlich wirke. Das Jugendamt beantragt, den Beschluss des Familiengerichts Freiburg aufzuheben, das Ruhen der elterlichen Sorge anzuordnen und dem Betroffenen einen Vormund zu bestellen.
Der Betroffene sowie die Vertreterinnen des Jugendamts wurden am 05.07.2024 durch das Beschwerdegericht ergänzend persönlich angehört.
Der Betroffene gab an, dass er zu seinem Vater keinen Kontakt habe und ihm sein Aufenthalt nicht bekannt sei. Seine Mutter lebe in ..., wo er s...