Entscheidungsstichwort (Thema)
Günstigkeitsprinzip im Rahmen des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB
Leitsatz (amtlich)
1) Zur Anwendung des Günstigkeitsprinzips in Fällen, in denen die Abstammung des Kindes gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB alternativ nach deutschem Sachrecht oder nach einem ausländischen Sachrecht bestimmt werden kann.
2) Jedenfalls dann, wenn eine Vaterschaftsanerkennung durch den biologischen Vater nicht erfolgt ist und auch nicht unmittelbar bevorsteht, ist eine aus dem ausländischen Sachrecht folgende Vaterschaftsfiktion gegenüber einer aus dem deutschen Sachrecht folgenden rechtlichen Vaterlosigkeit für das Kind auch dann günstiger, wenn die biologische Vaterschaft des betreffenden Mannes unwahrscheinlich oder nicht gegeben ist.
Normenkette
EGBGB Art. 19
Verfahrensgang
AG Pforzheim (Beschluss vom 16.07.2015; Aktenzeichen 5 F 35/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Pforzheim vom 16.07.2015, Az. 5 F 35/15, wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.650 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Antragstellers, Kindesunterhalt für den am 16.5.2011 geborenen M. zu zahlen.
Die Mutter von M. war mit dem Antragsteller verheiratet. Beide sind türkische Staatsangehörige. Im Jahr 2009 oder 2010 trennten sich die Eheleute. Mit Beschluss des AG - Familiengericht - Bruchsal vom 19.4.2011, rechtskräftig seit demselben Tage, wurde die Ehe geschieden.
Am... 2011 wurde M. geboren. Er hat seinen Aufenthalt in Deutschland. Der Antragsteller wurde vom Standesamt P. als Kindesvater in der Geburtsurkunde eingetragen, da nach türkischem Recht (Art. 285 ZGB) der Ehemann auch dann als Vater gilt, wenn ein Kind vor Ablauf von 300 Tagen nach Ende der Ehe geboren wurde.
Die Mutter beantragte am 30.11.2011 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Im Dezember 2011 wurde der Vater von der Unterhaltsvorschusskasse zur Auskunftserteilung über seine Einkommensverhältnisse aufgefordert.
Ein im Auftrag des Antragstellers in Auftrag gegebenes nichtamtliches Vaterschaftsgutachten vom 19.9.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der vorliegenden Untersuchungsbefunde der Antragsteller als der biologische Vater von M. auszuschließen sei. Im vorliegenden Verfahren ist unstreitig, dass der Antragsteller nicht der biologische Vater ist. Der Antragsteller strengte ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren beim AG - Familiengericht - Bruchsal (Az. 2 F 306/12) an. Auf den im Vaterschaftsanfechtungsverfahren erteilten gerichtlichen Hinweis, dass nicht ersichtlich sei, was die Vaterschaft begründe, nahm der Antragsteller seinen Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft zurück.
Auf Antrag der Unterhaltsvorschusskasse wurde im Verfahren des AG - Familiengericht - Pforzheim, Az. 12 FH 3/14, mit Beschluss vom 15.5.2014 der Antragsteller verpflichtet, an das Land Baden-Württemberg für das Kind M. rückständigen und laufenden Unterhalt ab 1.12.2011 zu zahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss in der beigezogenen Akte Bezug genommen. Eine vom Antragsteller eingelegte Beschwerde wurde nach Hinweis durch das AG zurückgenommen.
Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Antrag vom 29.1.2015 beantragt der Antragsteller Abänderung dieses Beschlusses dahingehend, dass er keinen, hilfsweise zukünftig keinen Unterhalt zahlen müsse. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass er nicht der biologische Vater sei. Er sei auch nicht als rechtlicher Vater anzusehen. Die Abstammung des Kindes unterliege dem deutschen und nicht dem türkischen Abstammungsrecht. Anderes ergebe sich nicht aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB, denn für das Kind sei es nicht die günstigste Lösung, ihm einen rechtlichen Vater zuzuordnen, von welchem es tatsächlich nicht abstamme, vielmehr sei sicherlich die günstigste Lösung, ihm ohne Umwege zu seinem wirklichen Vater zu verhelfen. Das Land Baden-Württemberg ist als Antragsgegnerin dem Antrag entgegengetreten.
Das AG hat durch Beschluss vom 16.7.2015 den Abänderungsantrag des Antragstellers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Soweit der Antragsteller Aufhebung für die Vergangenheit beantrage, sei der Antrag unzulässig, denn Abänderung könne nur für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Antrags beantragt werden. Ein Antrag auf Abänderung für die Zukunft sei unbegründet. In Anwendung des Art. 19 EGBGB sei hier nach dem Günstigkeitsprinzip für die Frage der Abstammung das türkische Recht heranzuziehen, denn dies sei die Rechtsordnung, welche für das Kindeswohl günstiger sei. Nach dem Günstigkeitsprinzip gebühre derjenigen Rechtsordnung der Vorrang, nach welcher eine Abstammung zuerst wirksam festgestellt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 16.7.2015 Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Der Antragsteller wiederholt und vertieft sein erst...