Entscheidungsstichwort (Thema)
Vormundschaftsgerichtliche Zustimmung bei Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Entscheidung des Betreuers gegen eine lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung des Betreuten und die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung kommen auch dann in Betracht, wenn das Leiden des Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, ohne dass der Tod in kurzer Zeit bevorsteht.
2. In Verfahren, deren Gegenstand die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung zu der Entscheidung des Betreuers gegen eine lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung des Patienten ist, muss dem Betreuten zwingend ein Verfahrenspfleger bestellt werden.
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Beschluss vom 22.12.2003; Aktenzeichen 2 T 71/03) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde des Betreuers der Betroffenen wird der Beschluss des LG Heidelberg vom 22.12.2003 - 2 T 71/03 - aufgehoben und die Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung an das LG Heidelberg zurückverwiesen.
II. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die 96 Jahre alte Betroffene lebt seit 1993 in Pflegeheimen. Für sie ist seit 1997 ihr Neffe mit den Wirkungskreisen Vermögenssorge und Gesundheitsfürsorge als Betreuer bestellt. Sie befindet sich im Endstadium einer Demenz mit einer völligen Reduktion der sprachlichen und psychischen Leistungen, sie ist ständig bettlägerig und voll pflegebedürftig, zu einer mündlichen Kommunikation nicht mehr fähig. Seit einer Klinikeinweisung im August 2003 ist sie wegen unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme mit einer durch die Nase eingeführten Magenverweilsonde versorgt.
Mit Schreiben vom 8.9.2003 hat der Betreuer beim AG Heidelberg den Antrag gestellt, seine Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Zwangsernährung zu genehmigen. Das AG hat mit Beschluss vom 3.11.2003 den Antrag auf Genehmigung des Abbruchs der künstlichen Zwangsernährung zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde des Betreuers hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem LG Heidelberg vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betreuer mit seiner weiteren Beschwerde, mit der er insb. eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen sowie die Fehlerhaftigkeit der vom AG eingeholten ärztlichen Gutachten rügt.
II. Die zu Protokoll der Rechtspflegerin des LG Heidelberg eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1, Abs. 4, 21 Abs. 2 S. 1 FGG).
Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des LG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
I. Das LG hat die materiellen Voraussetzungen, unter denen es die Rechtsordnung gestattet, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen oder nicht fortzusetzen, zu eng gesehen.
A. Zutreffend ist das LG zwar davon ausgegangen, dass der BGH mit Beschluss vom 17.3.2003 (BGH v. 17.3.2003 - XII ZB 2/03, MDR 2003, 691 = BGHReport 2003, 661 = GesR 2003, 207 = NJW 2003, 1588 [1594]) im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung für die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung oder Weiterbehandlung eines nicht einwilligungsfähigen Betroffenen eine vormundschaftsgerichtliche Prüfungszuständigkeit eröffnet hat. Wie vom LG weiter zutreffend dargelegt, hat der BGH die Genehmigungsfähigkeit von der Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen, vom Vorliegen eines Grundleidens, das einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, und einer Entsprechung im Willen des Betroffenen, bei mangelnder Feststellbarkeit im mutmaßlichen Willen, abhängig gemacht.
B. Das LG hat aber fälschlich angenommen, dass ein Leiden mit einem irreversiblen tödlichen Verlauf nur vorliege, wenn der Tod in kurzer Zeit bevorsteht.
Den Ausführungen des Bundesgerichtshofes ist dies nicht zu entnehmen. Der BGH hat vielmehr unter Bezugnahme auf das Urteil des ersten Strafsenates vom 13.9.1994 (BGH v. 13.9.1994 - 1 StR 357/94, MDR 1995, 80 = BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204 [207]) zwischen Hilfe beim Sterben, kurz: Sterbehilfe, und Hilfe zum Sterben oder Sterbehilfe im weiteren Sinn differenziert. Sterbehilfe setzt danach voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Doch auch in dem Fall, in dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist danach der Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Nach den weiteren Ausführungen des BGH sind dann jedoch an die Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen zu stellen ggü. der Sterbehilfe im eigentlichen Sinn (vgl. BGH v. 13.9.1994 - 1 StR 357/94, MDR 1995, 80 = BGHSt 40, 257 [260]= NJW 1995, 204 [207]). Aus der Differenzierung der Sterbehilfe folgt demnach nicht, da...