Leitsatz (amtlich)
1. Der Presseberichterstattung über private Chat-Beiträge (hier: Aussagen mit menschenverachtenden, rassistischen und demokratiefeindlichen Inhalten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters von Landtagsabgeordneten) steht es nicht notwendig entgegen, dass die Chat-Kommunikation von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft wurde und die Presse dies bei Anwendung journalistischer Sorgfalt erkennen konnte. Anderes gilt im Regelfall, wenn die Presse den Rechtsbruch selbst begangen oder einen Dritten hierzu veranlasst hat. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt beim Betroffenen. Aus Gründen des Informantenschutzes ist die Presse nicht gehalten, nähere Angaben zu ihrer Quelle oder sonst zur Art der Informationsbeschaffung zu machen.
2. In Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit einerseits und dem Interesse des Betroffenen am Schutz seines sozialen Geltungsanspruchs, seiner Vertraulichkeitssphäre und seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung andererseits ist die (identifizierende) Berichterstattung über rechtsextreme Chat-Beiträge zulässig, wenn der Bericht keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthält, einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage leistet (hier: zum Diskurs, ob Teile einer politischen Partei rechtsextremen Bestrebungen nachgehen oder solche Bestrebungen im Umfeld der Partei dulden) und die Presse an dem Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre selbst nicht beteiligt war.
3. Auf die Rechtfertigung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung kommt es nur an, wenn und solange der Wahrheitsgehalt der berichteten Tatsachen ungeklärt ist, nicht aber, wenn die angegriffenen Tatsachenbehauptungen erweislich wahr sind. Im Verfahren der einstweiligen Verfügung genügt es, wenn ihr Wahrheitsgehalt glaubhaft gemacht ist.
4. Zur Beweiswürdigung im Einzelfall, wenn der Betroffene behauptet, die der Presse zugespielten Chat-Protokolle seien von interessierter Seite manipuliert worden.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 03.08.2018; Aktenzeichen , 3 O 58/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 03.08.2018 - 3 O 58/18 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
Gründe
I. Der Verfügungskläger (nachfolgend: Kläger) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dagegen, dass ihm der Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagter) in der Wochenzeitung "[...]" Aussagen mit menschenverachtenden, rassistischen und demokratiefeindlichen Inhalten zuschreibt.
Der im Jahre 1987 geborene Kläger ist nach einer Tätigkeit bei der Bundeswehr in den Jahren 2009 und 2010 und einem Studium der Politikwissenschaft seit Mai 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter zweier Abgeordneter der [X.]-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg tätig.
Jedenfalls im Zeitraum zwischen April 2014 und Februar 2017 unterhielt der Kläger bei Facebook das Profil "[Y.]", über das er umfangreiche Unterhaltungen mit einer Vielzahl von Personen führte sowie Dateien und Bilder austauschte. Im Februar 2017 deaktivierte der Kläger das Profil "[Y.]".
Der Beklagte erstellt als eingetragener Verein eine journalistische Wochenzeitung, die sowohl im Internet als auch als bundesweite Print-Beilage der Zeitschrift [...] verbreitet wird.
Am 09.05.2018 veröffentlichte der Beklagte in der [...]-Wochenzeitung, Ausgabe 371, einen Bericht über den Kläger unter der Schlagzeile ›"Sieg Heil" mit Smiley‹. Dort wird der namentlich benannte Kläger im durch Fettdruck hervorgehobenen Einführungsabschnitt als "strammer Faschist" bezeichnet; das belegten Chat-Protokolle, die "Einblick in hassverseuchte Dialoge und eine menschenverachtende Gedankenwelt" gewährten. Im weiteren Verlauf des Artikels werden dem Kläger insbesondere die im Verfügungsantrag zu 2 wiedergegebenen Zitate als aus seinen Chat-Beiträgen stammend zugeschrieben.
Am 23.05.2018 veröffentlichte der Beklagte in der Ausgabe 373 einen Bericht unter der Überschrift "Gefährder im Landtag". Dort wird unter Bezug "auf die von [...] offengelegten Verbindungen eines [X.]-Mitarbeiters zur extremen Rechten" über den erneut namentlich bezeichneten Kläger berichtet, der nach Auffassung von Abgeordneten anderer Landtagsfraktionen in seiner Rolle als Mitarbeiter von Abgeordneten ein erhebliches Risiko darstelle. U.a. heißt es dort: "Ein [Kläger] etwa, der sich einen Bürgerkrieg mit Millionen Toten herbeisehnt, im Fall seiner Verhaftung 'knietief im Blut' stehen möchte und 'auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen' will, hat als persönlicher Mitarbeiter der Abgeordneten [A.] und [B.] nicht nur freien Zugang zu vertraulichen Informationen, sondern auch zu den Sicherheitszonen des Landtags." Ferner greift der Artikel die weiteren, im Verfügung...