Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Übergang der Unterhaltsansprüche bei vorliegender besonderer Härte (jahrzehntelange häusliche Pflege eines schwerbehinderten Kindes). Kindesunterhalt. hier: Kein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger bei häuslicher Pflege eines schwerbehinderten Kindes
Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung der allgemeinen Härteklausel des § 91 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BSHG in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung kann zum Ausschluss des Übergangs der Unterhaltsansprüche führen, wenn ein behindertes Kind über lange Zeit häuslich versorgt wird, obwohl die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem sog. Vollheim i.S.v. § 27 Abs. 3 BSHG gegeben sind.
Normenkette
BGB § 1601; BSHG (vom 19.06.2001) § 27 Abs. 3; BSHG (vom 23.07.1996) § 91 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1
Verfahrensgang
AG Koblenz (Urteil vom 01.03.2000; Aktenzeichen 40 F 447/99) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG - FamG - Koblenz vom 1.3.2000 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Beklagte ist die Mutter des am 12.6.1955 geborenen schwerbehinderten Sohnes J., der - mit Ausnahme des Zeitraums vom 1.4.2000 bis 31.12.2000 - in ihrem Haushalt gelebt und von ihr versorgt und gepflegt wird. Der Sohn leidet seit seiner Geburt an einer Hirnschädigung, infolge deren es zu einer ausgeprägten körperlichen Behinderung und auch zu psychischen Beeinträchtigungen gekommen ist. Die Parteien streiten darüber, ob die Behinderungen so gravierend waren und sind, dass ohne die Versorgungs- und Betreuungsleistungen der Beklagten eine Heimunterbringung erforderlich gewesen wäre und ist.
Die Klägerin hat dem Sohn der Beklagten seit dem 1.1.1983 - neben Hilfe zur Pflege und Krankenhilfe - laufend Hilfe zum Lebensunterhalt in wechselnder Höhe gewährt und die Beklagte in der Vergangenheit auf Rückzahlung der mit Bescheiden vom 29.5.1984 und 21.8.1994 auf sie übergeleiteten Unterhaltsansprüche in Anspruch genommen. In hierüber bereits geführten Rechtsstreiten ist die Beklagte insoweit zur Zahlung der übergeleiteten Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 1.1.1983 bis 31.12.1985 (AG Koblenz - 18 F 220/86), vom 1.1.1986 bis 28.7.1989 (AG Koblenz - 18 F 126/90; BGH v. 25.11.1992 - XII ZR 164/91, MDR 1993, 544), vom 2.12.1989 bis 31.12.1990 (AG Koblenz - 40 F 326/94; OLG Koblenz - 13 UF 683/95) und vom 1.1.1991 bis 31.12.1993 (AG Koblenz - 40 F 286/97; OLG Koblenz - 13 UF 482/98) verurteilt worden.
Mit der vorliegenden Klage hatte die Klägerin aus übergegangenem Recht zunächst Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 1.1.1994 bis zum 30.11.1999 in Höhe eines Gesamtbetrages von 50.021,55 DM geltend gemacht. Das AG hatte der Klage stattgegeben und das Vorliegen einer unbilligen Härte, die zum Anschluss einer Inanspruchnahme der Beklagten gem. § 91 Abs. 2 S. 2 BSHG führen würde, verneint. Auf die Berufung der Beklagten hatte der Senat in Abweichung von der vorbezeichneten Entscheidung die Beklagte zur Zahlung eines Betrages i.H.v. insgesamt 38.299,20 DM nebst Zinsen verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die allgemeine Härteregelung des § 91 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BGB sei im vorliegenden Fall anwendbar und führe dazu, dass der Beklagten ab dem Zeitpunkt ihrer Verrentung (1.5.1995) 1/3 ihres über den angemessenen Eigenbedarf hinausgehenden Einkommens zu belassen sei; die Unterhaltsansprüche des J.D. seien mithin nur in Höhe des ausgeurteilten Betrages auf die Klägerin übergegangen.
Die Revision der Klägerin gegen diese Entscheidung hat der BGH durch Urteil vom 23.7.2003 zurückgewiesen, wohingegen er auf die Revision der Beklagten die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung aufgehoben und an den Senat zurückverwiesen hat, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist. Zur Begründung hat der BGH u.a. ausgeführt, die Klägerin habe zum Unterhaltsbedarf des Sohnes der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen, so dass die Höhe etwaiger Unterhaltsansprüche nicht schlüssig dargetan sei. Im Übrigen bestünden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bis zum 31.12.2001 geltende Fassung des § 91 BSHG, weil Eltern bei einer Heimunterbringung ihres Kindes ggü. denjenigen Eltern, die ihr Kind trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 BSHG zu Hause pflegen, kostenmäßig privilegiert würden: Die Heimunterbringung führe nämlich dazu, dass die Eltern grundsätzlich unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mit einer finanziellen Inanspruchnahme rechnen müssten, wohingegen die Eltern, die ihre Kinder zu Hause pflegten, mit einer Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers rechnen müssten, soweit dieser für das behinderte Kind Hilfe zum Lebensunterhalt gewähre. Schließlich sei zu prüfen, ob nicht gem. § 91 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BSHG vorliegend zum einen schon für die Zeit vor Verrentung und zum anderen in weiterem Umfang als bislang angenommen von einer unbilligen Härte...