Leitsatz (amtlich)
Wird nach einem Trauma eine Röntgenaufnahme in einer zum Ausschluss einer Fraktur der Wirbelsäule angezeigten zweiten seitlichen Ebene zunächst richtigerweise unterlassen, weil eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus zur Versorgung einer schweren Schädelverletzung im Vordergrund steht, kann sich das Unterlassen der Vervollständigung der Diagnostik im weiteren Verlauf als einfacher, nicht aber als grober Behandlungsfehler darstellen, wenn eindeutig richtungsweisende Symptome fehlen.
Ein Befunderhebungsfehler führt nicht zu einer Umkehr der Beweislast, wenn sich bei der gebotenen Abklärung zwar mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Befund ergeben hätte, auf den nicht zu reagieren sich als grob fehlerhaft darstellen würde, aber die erforderliche Therapie - wenn auch aus einem anderen Grund - ohnehin erfolgt ist.
Normenkette
BGB § 630h Abs. 5 S. 2
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 226/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 10.02.2021 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 226/18 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am xx.xx.1969 geborene Kläger macht Ansprüche auf Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht gegen die Beklagten, die den Kläger nach einem erlittenen Sturz behandelten, geltend und behauptet Mängel der Befunderhebung.
Der Kläger wurde in der Nacht vom 02.06.2013 auf den 03.06.2013 von seiner Lebensgefährtin bewusstlos aufgefunden. Er wurde in das Krankenhaus der Beklagten zu 1), deren Unfallchirurgie von dem Beklagten zu 2) geleitet wird, eingeliefert. Aufgrund der Auffindeumstände war von einem Sturz im häuslichen Bereich, vermutlich von einer Leiter, auszugehen. Der Kläger wurde von der angestellten Ärztin A untersucht. Bei der radiologischen Untersuchung der Wirbelsäule konnte mit Ausnahme der Halswirbel die zweite, seitliche Ebene nicht dargestellt werden. Der Kläger befand sich durchgängig auf einem "Spineboard" zum Schutz der Wirbelsäule. Ein CT-Untersuchung des Schädels ergab die Diagnosen "Felsenbeinfraktur rechts, subdurale Blutung rechts, Subarachnoidalblutungen beidseits rechts mehr als links, occipitale Kalottenfraktur links mit möglicher Hirnkontusion". Es erfolgte die unmittelbare Überweisung des Klägers in die Klinik für Neurochirurgie der Beklagten zu 3), deren Chefarzt der Beklagte zu 4) ist, um dort eine operative Entlastung des vorhandenen Hämatoms im Schädel vorzunehmen. Die Verlegung wurde telefonisch angekündigt, wobei die Einzelheiten des Telefonats streitig sind. Die Ärztin A veranlasste weiterhin eine groborientierende Abdomensonografie sowie eine Laborkontrolle.
Der Kläger wurde noch in der Nacht vom 03.06.2013 im Haus der Beklagten zu 3) durch den Beklagten zu 5) operiert, wobei eine operative Entlastung des Hämatoms epidural und auch subdural erfolgte und die Kalottenfraktur versorgt wurde. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Der Kläger wurde am 11.06.2013 in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) zurückverlegt, wo er bis zum 18.06.2013 weiterbehandelt wurde. Im Anschluss fand vom 18.06.2013 bis zum 17.07.2013 im Hause der Beklagten zu 6) unter Verantwortung der Beklagten zu 7) eine neurologische Rehabilitationsbehandlung statt. Im Anschluss an die Reha-Maßnahme suchte der Kläger die Fachärzte für Orthopädie "Orthoteam" auf, die eine Computertomografie der Lendenwirbelsäule am 30.07.2013 veranlassten. Dabei wurden Kompressionsfrakturen von LWK 1 und LWK 2 diagnostiziert.
Hinsichtlich des unstreitig vorgerichtlich durchgeführten Gutachterverfahrens, der weiteren vom Kläger eingeholten Gutachten und der vorgerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber den Versicherern wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils nebst der dort in Bezug genommenen Anlagen verwiesen.
Über das Vermögen der Beklagten zu 6) wurde am 01.01.2020 durch das Amtsgericht Aachen unter dem Az. 93 IN 217/19 das Insolvenzverfahren eröffnet. Insolvenzverwalter ist der Beklagte zu 8).
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Behandler der Beklagten zu 1), 3) und 6) hätten behandlungsfehlerhaft die Frakturen der LWK 1 und LWK 2 übersehen. Die erforderliche Befunderhebung, insbesondere in Form einer Röntgendiagnostik in zwei Ebenen, sei nicht durchgeführt worden. Bei der Beklagten zu 6) habe eine Physiotherapeutin ausdrücklich den Verdacht auf Wirbelsäulenbruch geäußert, worauf jedoch keine Reaktion erfolgt sei. Die von ihm in allen Häusern mitgeteilten Rückenschmerzen seien ebenfalls behandlungsfehlerhaft ignoriert worden. Die bei der Beklagten zu 6) erfolgte Mobilisation se...