Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Audi-Fahrzeugs (hier: Audi A4, Avant allroad, 2.0 TDI)
Leitsatz (amtlich)
1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG Celle BeckRS 2020, 35127; OLG Jena BeckRS 2020, 30910; OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; BeckRS 2020, 38370; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737.
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin (hier: Audi AG), auch wenn diese den Motor nicht hergestellt hat (hier Motorherstellerin VW AG), ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern aufgrund eigenen deliktischen Handelns zu aufgrund des von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung. (Rn. 33)
3. Der Audi AG ist vorzuwerfen, dass die Abgabe einer eigenen Erklärung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt als EG-Typgenehmigungsbehörde die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält, insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, und der Hersteller im EG-Typengenehmigungsverfahren umfassend verantwortlich ist. (Rn. 47)
4. Für den Eigentümer eines Audi-Fahrzeugs, der erst im Jahr 2016 positive Kenntnis erlangt hat, dass auch sein Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen ist, kann nicht angenommen werden, dass ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzulasten ist. (Rn. 78)
Normenkette
BGB §§ 31, 826, 831; EG-FGV § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 5 S. 1, § 4 Abs. 4; EWGRL 220/70; RL 98/69/EG Erwägungsgründe Nr. 3; RL 98/69/EG Erwägungsgründe Nr. 4; RL 98/69/EG Erwägungsgründe Nr. 5; RL 98/69/EG Erwägungsgründe Nr. 11; RL 98/69/EG Erwägungsgründe Nr. 12; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1; ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 10.12.2019; Aktenzeichen 21 O 520/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.12.2019, Az. 21 O 520/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 8.338,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A4 Avant allroad 2.0 TDI 130 kw (177), Fahrzeugidentifikationsnummer ...90, zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen werden die Berufung der Klagepartei und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klagepartei 69% und die Beklagte 31%.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klagepartei 67% und die Beklagte 33%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.354,59 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
1. Mit Kaufvertrag vom 01.07.2014 erwarb die Klagepartei von einem Autohaus den hier streitgegenständlichen Audi A4, Avant allroad, 2.0 TDI, Euro 5, 130 kw (177 PS), Erstzulassung 08.11.2013, zu einem Kaufpreis von 39.700,00 EUR brutto als Gebrauchtwagen. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte der Wagen einen Kilometerstand von 5.940 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von 238.234 km. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, in dem ein Motor vom Typ EA 189 der VW-AG verbaut ist.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmod...