Leitsatz (amtlich)
Zur ergänzenden Vertragsauslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen (hier: Anpassung an den geänderten Begriff der Pflegebedürftigkeit des SGB XI).
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 12.07.2022; Aktenzeichen 4 O 41/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Juli 2022 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.672,00 EUR nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 2.418,00 EUR seit dem 1. Februar 2022 und auf jeweils 1.209,00 EUR seit dem 1. März 2022, 1. April 2022, 1. Mai 2022, 1. Juni 2022, 1. Juli 2022 und 1. August 2022 sowie weitere 2.147,83 EUR nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Februar 2022 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, zum Ersten eines jeden Monats, beginnend mit dem 1. September 2022, an die Klägerin eine monatliche Pflegerente in Höhe von 1.209,00 EUR zu zahlen, wobei die Zahlungspflicht spätestens im Dezember 2037 endet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
und beschlossen:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf die Gebührenstufe bis 65.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin unterhält bei der Beklagten seit Mai 2014 eine Invaliditätsversicherung für Erwachsene im Tarif ... Rent (Versicherungsschein-Nr.: ...) unter Vereinbarung der Bedingungen zur B. -Invaliditätsversicherung für Erwachsene (... Rent), Stand 21.12.2012. Zu den versprochenen fünf Leistungsarten zählen u.a. eine Pflegerente und eine Krebsrente. Die Leistung wird als monatliche Rente in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gewährt, wenn die Voraussetzungen einer oder mehrerer Leistungsarten erfüllt sind. Die Versicherungssumme beträgt im Falle der Klägerin seit Januar 2022 1.209,00 EUR und wird bis zum 67. Lebensjahr bei einer Leistungsdynamik von 1,5% zugesagt. Zur Pflegerente enthalten die Versicherungsbedingungen die folgende Regelung:
"2.3 Rentenleistung bei einer Pflegebedürftigkeit (Pflegerente)
2.3.1 Voraussetzung für die Leistung
Die versicherte Person wird während der Vertragslaufzeit in die Pflegestufe I, II oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch eingestuft.
2.3.2 Beginn und Dauer der Leistung
Die Rente zahlen wir
- rückwirkend ab Beginn des Monats, in dem die Pflegestufe I, II oder III zuerkannt wurde;
- monatlich im Voraus.
Die Rente wird gezahlt
- bis zum Ende des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 67. Lebensjahr vollendet (bei vereinbartem Leistungsbezug bis 67)
oder
- bis zum Ende des Monats, in dem die versicherte Person stirbt (bei vereinbartem lebenslangen Rentenbezug) ≫oder
- bis zum Ende des Monats, in dem keine Pflegestufe mehr besteht.
Die versicherte Person ist verpflichtet, den Wegfall der Pflegestufe unverzüglich zu melden".
Mit dem Inkrafttreten der Pflegereform durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz zum 1. Januar 2017 wurden die Pflegestufen durch Pflegegrade ersetzt. Die Bedingungen zur B. -Invaliditätsversicherung für Erwachsene Top-Schutz (... Rente Top-Schutz) zum 01.06.2020 sehen unter Ziff. 2.3.1 zu der Voraussetzung für die Leistung der Pflegerente vor:
"Die versicherte Person wird während der Vertragslaufzeit in Pflegegrad 2 oder höher nach deutschem Sozialgesetzbuch eingestuft".
Die Klägerin erkrankte an Krebs. Ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung gelangt zu dem Ergebnis eines seit dem 1. März 2019 bestehenden Pflegegrades 2 der Klägerin. Die Pflegekasse bewilligte daraufhin Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 ab dem 28.03.2019.
Noch im Jahr 2019 wandten sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an die Beklagte und meldeten den Anspruch auf die Rente an. Die Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom 25.08.2020 mit, ab dem 01.01.2019 für 36 Monate die vereinbarte Krebsrente zu zahlen. Auf die im Sommer 2021 erhobene Forderung der Klägerin, die Rente darüber hinaus weiter zu erbringen, ließ sich die Beklagte nicht ein. Auch nach erneuter Einschaltung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verblieb die Beklagte ausweislich ihres Schreibens vom 6. Dezember 2021 bei ihrer ablehnenden Haltung. Nach Auffassung der Beklagten lagen die Voraussetzungen einer Pflegerente nicht vor.
Mit der der Beklagten am 11.02.2022 zugestellten Klage hat die Klägerin daraufhin die Zahlung der Pflegerente von 1.209,00 EUR ab Januar 2022 und in gewillkürter Prozessstandschaft den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 2.147,83 EUR verl...