Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bemessung von Entschädigungen wegen einer Störung der Anbindung von Offshore-Anlagen nach § 17e Abs. 1 EnWG ist der sogenannte Abschattungseffekt (Wake-Effekt) - der bei Windkraftanlagen auftritt, die aus der jeweiligen Windrichtung nicht in der ersten Reihe des Windparks liegen - zu berücksichtigen, wenn und soweit ein solcher aus technischen Gründen festzustellen ist.
2. Für den Entschädigungsanspruch ist allein maßgeblich, wann die Störung mit Wiederzuschaltung der Netzanbindung durch den Übertragungsnetzbetreiber beendet wurde, unabhängig davon, wann die Netzzuschaltung tatsächlich erfolgen und die Einspeisung durch den Windparkbetreiber wieder aufgenommen werden konnte.
3. Der zehntägige Selbstbehalt gemäß § 17e Abs. 1 S. 1 EnWG beginnt erst dann, wenn die jeweilige Windanlage selbst betriebsbereit ist.
4. Dem Windparkbetreiber steht in der Regel kein Anspruch auf Vorlage des Schadensminderungskonzepts, welches der Übertragungsnetzbetreiber der Bundesnetzagentur vorzulegen hat, zu. Eine andere Beurteilung kann dann veranlasst sein, wenn der Betreiber die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Vorsatzhaftung nach § 17e Abs. 1 S. 4 EnWG hinreichend darlegt.
5. Nach Ablauf der Selbstbehaltsfrist ist auch Entschädigung für untertägige Nichtverfügbarkeiten der Netzanbindung zu leisten.
Normenkette
EnWG § 17e
Verfahrensgang
LG Bayreuth (Aktenzeichen 31 O 939/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 20.01.2022, Az. 31 O 939/20, werden zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 63 % und die Beklagte 37 % zu tragen.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.386.780,17 EUR (Ziffer 1. der Klage: 4.886.780,17 EUR; Ziffer 2. der Klage: 500.000,00 EUR) festgesetzt.
Gründe
A. I. Die Klägerin ist Betreiberin eines Windparks in der deutschen Bucht mit 40 Windenergieanlagen (T. Windpark). Die Beklagte ist die anbindungsverpflichtete Übertragungsnetzbetreiberin und hat den klägerischen Windpark seit 2015 mit einer Gleichstrom-Hochenergieübertragungsleitung ("D[...] 1") angeschlossen.
Unterbrochen war die Netzanbindung:
- vom 25.12.2017, 10:46 Uhr bis 16. Februar 2018, 18:58 Uhr; zu diesem Zeitpunkt waren 38 Windkraftanlagen betriebsbereit, die Anlagen Nrn. 40 und 41 waren gestört, die Anlage 40 wurde am 26.12.2017 um 15:15 Uhr und die Anlage 41 am 27.12.2017 um 12:30 Uhr entstört, die Beklagte hatte den Zeitpunkt der voraussichtlichen Entstörung ursprünglich mit 28.02.2018, 20:00 Uhr angekündigt und erst am 16.02.2018 um 16:30 Uhr eine frühere Entstörung (an diesem Tag um 20:00) bekannt gegeben;
- vom 29.04.2018, 9:46 Uhr bis 02.05.2018, 15:49 Uhr, zu diesem Zeitpunkt waren wenigstens 20 Windkraftanlagen betriebsbereit;
- vom 28.08.2018, 9:10 Uhr bis 30.08.2018, 13:03 Uhr, zu diesem Zeitpunkt waren 26 Windenergieanlagen betriebsbereit.
Untertägige Störungen ereigneten sich außerdem an folgenden Tagen (Zeitangaben in MEZ beziehungsweise MESZ):
- am 13.04.2018 von 10:45 Uhr bis 12:17 Uhr, betriebsbereite Anlagen: 35;
- am 25.09.2018 von 1:23 Uhr bis 15:58 Uhr, betriebsbereite Anlagen: 32;
- am 02.12.2018 von 1:28 Uhr bis 1:57 Uhr sowie von 21:21 Uhr bis 23:09 Uhr, betriebsbereite Anlagen: 36.
Liegt die einzelne Windkraftanlage unter Berücksichtigung der Windrichtung nicht in der ersten Reihe des Parks, wird der bei ihr auftreffende Wind durch den Abschattungseffekt (Wake-Effekt) der im Luv voranstehenden Anlagen beeinflusst. Unter diesen Effekten versteht man Abschattungen und Verwirbelungen des Windes, die während des tatsächlichen Betriebs innerhalb eines Windparks auftreten können. Regelmäßig sinkt die Windgeschwindigkeit, und die Turbulenzen verstärken sich, insgesamt kommt es zu einer niedrigeren Leistung als bei den in erster Reihe stehenden Anlagen. Der Effekt ist abhängig von Windgeschwindigkeit, Temperatur und Windrichtung. Die Klägerin berechnete ihre Forderung außergerichtlich ohne Berücksichtigung dieses Effekts; die Beklagte zog ihn von der in Rechnung gestellten Ausfallarbeit pauschal ab.
Die Beklagte setzte viertelstundenweise die von der Klägerin geltend gemachten Werte der Ausfallarbeit für jede einzelne Anlage auf 1.260,515 kWh limitiert, d.h. höhere geltend gemachte Werte nicht an. Die Klägerin berechnete außergerichtlich ihre Ansprüche auf Basis eines Preises von 19,4 Cent/kWh, die Beklagte setzte lediglich 19,0 Cent/kWh an. Die Beklagte erfüllte die Forderung wegen der Unterbrechungen der Offshore-Netzanbindung D[...]1 in den Jahren 2017 und 2018 zum großen Teil in Höhe von ...