Entscheidungsstichwort (Thema)
Luca III
Leitsatz (amtlich)
1. Auf eine vermeintliche Vergaberechtswidrigkeit kann sich ein Bieter nicht berufen, wenn sein Produkt zulässig gestellte zwingende Anforderungen zweifelsfrei nicht erfüllt.
2. Kommt es dem Auftraggeber mit Blick auf die Dringlichkeit und Risikobegrenzung zulässigerweise auf die Beschaffung einer bestehenden Software an, muss er einen über die programmtechnisch bereits vorgesehene und getestete Konfiguration hinausgehenden Eingriff in die Programmstruktur nicht hinnehmen.
Zitierungen: Festhaltung OLG Rostock, Beschluss vom 1. September 2021 - 17 Verg 2/21 und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2010 - VII-Verg 10/10.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; IfSG § 28a Abs. 1 Nr. 17 I, Abs. 4; VgV § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 17.08.2021 - 3 VK 5/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner war im Beschwerdeverfahren erforderlich.
4. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Im Februar 2021 beabsichtigte der Antragsgegner, den "Corona-Lockdown" durch einzelne Öffnungsschritte abzumildern. Nach Erfahrungen mit der Kontaktnachverfolgung auf Grundlage von Anwesenheitslisten in Papierform sollten die Lockerungen von einer effektiveren Form der Kontaktnachverfolgung begleitet werden. Unter dem 26.02.2021 teilte das Bundesgesundheitsministerium den Ländern mit, dass der Bund eine deutschlandweite Lösung zur elektronischen Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter nicht zeitnah bereitstellen werde. Am 03.03.2021 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz: "Die Länder stellen in ihren Verordnungen sicher, dass die verpflichtende Dokumentation zur Kontaktnachverfolgung auch in elektronischer Form, zum Beispiel über Apps erfolgen kann".
Der Antragsgegner recherchierte im Internet Systeme beziehungsweise Apps zur digitalen Kontaktnachverfolgung. Die Anwendung X der Antragstellerin war zu diesem Zeitpunkt weder über eine Google-Suche noch über die App-Stores auffindbar, andere Produkte sah der Antragsgegner als nicht zuschlagsfähig an. Er beschaffte daraufhin ohne Ausschreibung und ohne Einholung weiterer Angebote mit Vertrag vom 08.03.2021 das LUCA-System der Beigeladenen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren.
Bei dem Produkt der Antragstellerin werden bei Installation der App keine persönlichen Daten angegeben. Bei einem Check-In wird der QR-Code der Veranstaltung gescannt. Warnungen über Infektionsfälle im Zusammenhang mit einer bestimmten Veranstaltung stellt das Gesundheitsamt dann auf dem X-Server ("Schwarzes Brett") ein. Jede (noch) installierte X-App fragt zyklisch das "Schwarze Brett" ab, ob Warnungen für die lokal gespeicherten Veranstaltungs-Codes hinterlegt sind. Die Warnung wird dann in der App angezeigt. Die Nutzung ohne Smartphone erfolgt über eine Web-App nach ähnlichem Prinzip unter Angabe einer Kontakt-E-Mail-Adresse. Die über die Smartphone-App beziehungsweise per E-Mail benachrichtigten Kontaktpersonen des Infizierten können dann freiwillig ihre Kontaktdaten ein- und für das Gesundheitsamt freigeben. Erst nach der Freigabe stehen die Daten dem Gesundheitsamt zur weiteren Kontaktnachverfolgung zur Verfügung. Der Veranstalter hat keinen Zugriff auf die Daten und kann sie auch nicht dem Gesundheitsamt übermitteln.
Mit Beschluss vom 17.08.2021 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig zurückgewiesen. X ermögliche bereits keine Kontaktnachverfolgung und versetze den Veranstalter nicht in die Lage, Daten an das Gesundheitsamt zu übermitteln. Dies sei nach der Corona-Landesverordnung in der Fassung vom 24.02.2021 aber zwingend erforderlich. Wegen der Anträge und Feststellungen wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Gegen den am 18.08.2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 31.08.2021 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie macht im Wesentlichen geltend:
(1) Ihr Produkt X sei zuschlagsfähig. Der Datenzugriff des Gesundheitsamts erst nach Freigabe durch die Kontaktpersonen und die fehlende Möglichkeit der Datenübermittlung durch den Veranstalter stehe aus zwei Gründen nicht entgegen:
Die Funktionalität sei gar nicht gefordert worden. Eine entsprechende Anforderung ergäbe sich weder aus dem vom Antragsgegner formulierten Beschaffungsprofil ("digitale Kontaktnachverfolgung") noch aus dem objektiv zutreffend verstandenen Beschaffungszweck. Für einen verständigen Bieter sei nicht ersichtlich, dass die "digitale Kontaktnachverfolgung" als "zur Erfüllung der Vorgaben der Corona-VO für die Veranstalter" verstanden werden sollte. Die verordnungsrechtlichen Vorgaben seien auch erstmals am Ende der mündlichen Verha...