Leitsatz (amtlich)
1. Anhängige Einwände im Sinne des Art. 67 Abs. 1 Satz 3 lit. a EuErbVO, die dazu führen, dass ein Europäisches Nachlasszeugnis nicht ausgestellt werden kann, sind nur solche, die anderweitig, also in einem anderen Verfahren anhängig sind. Demgegenüber sind Einwände, die ein Berechtigter unmittelbar gegen-über der Ausstellungsbehörde geltend macht, im Rahmen des Erteilungsverfahrens zu würdigen. Sie stehen nicht per se der Erteilung des Zeugnisses entgegen.
2. "Anhängigkeit" im Sinne des Art. 67 Abs. 1 Satz 3 lit. a EuErbVO bedeutet Einreichung einer Klage, mithin die Anhängigkeit eines Rechtsstreits in Bezug auf den zu bescheinigenden Sachverhalt.
3. Das Ausstellungsverfahren für das Europäische Nachlasszeugnis richtet sich grundsätzlich nach dem jeweiligen mitgliedsstaatlichen Verfahrensrecht. Die EuErbVO steht einer unterschiedlichen Prüfungstiefe durch die "Ausstellungsbehörde" nicht entgegen.
4. In der Bundesrepublik Deutschland verweisen die §§ 33 ff. des zur Durchführung der EuErbVO erlassenen Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes (IntErbRVG) auf das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und damit unter anderem auf § 26 FamFG. Die Prüfungskompetenzen von Nachlassgericht und Beschwerdegericht decken sich.
Normenkette
EuErbVO Art. 62 ff.; FamFG § 26; IntErbRVG § 33 ff.
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 10.08.2020; Aktenzeichen 30 VI 665/19) |
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart - Nachlassgericht - vom 10.08.2020, Az. 30 VI 665/19, aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Antrag des Beteiligten Ziff. 8 vom 10.07.2019 auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses an das Amtsgericht Stuttgart - Nachlassgericht - zurückverwiesen, welches auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Unter dem 10.07.2019 hat der Beteiligte Ziff. 8 die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) gemäß § 65 EuErbVO beantragt, wonach er kraft gesetzlicher Erbfolge Alleinerbe des Erblassers geworden ist. Durch Beschluss vom 10.08.2020 hat das Amtsgericht Stuttgart - Nachlassgericht - die Erteilung des beantragten Europäischen Nachlasszeugnisses wegen des Vorliegens von Einwendungen der Beteiligten Ziff. 7 versagt. Zur Begründung wurde ausgeführt, anders als im deutschen Erbscheinsverfahren werde im ENZ-Ausstellungsverfahren nicht streitig entschieden. Die vorliegenden Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt (gesetzliche Erbfolge) bezögen sich auf die zur Begründung des Antrags gemachten Angaben (Nichtvorhandensein einer Verfügung von Todes wegen). Das ENZ könne daher nicht erteilt werden.
Gegen den ihr am 14.08.2020 zugestellten Beschluss des Nachlassgerichts vom 10.08.2020 wendet sich die Beteiligte Ziff. 7 mit ihrem am 27.08.2020 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage, mit dem sie beanstandet, dass der Beschluss vom 10.08.2020 keine Kostenentscheidung enthält. Der Schriftsatz enthält diesbezüglich einen Antrag auf Beschlussergänzung gemäß § 43 Abs. 1 FamFG und eine Beschwerde, jeweils mit dem Antrag, dem Beteiligten Ziff. 8 als Antragsteller die Kosten des Verfahrens einschließlich der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten Ziff. 7 aufzuerlegen.
Der Beteiligte Ziff. 8 wendet sich gegen den ihm am 13.08.2020 zugestellten Beschluss des Nachlassgerichts vom 10.08.2020 mit seiner am 10.09.2020 beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde, mit der er seinen Antrag auf Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses weiterverfolgt.
Durch Beschluss vom 13.10.2020 hat das Amtsgericht Stuttgart - Nachlassgericht - entschieden, dass eine Beschlussergänzung nicht veranlasst sei, den Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 nicht abgeholfen wird und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt werden.
II. Die Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 haben insoweit Erfolg, als der angegriffene Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben wird und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Ausgangsgericht zurückverwiesen wird.
1. Das Ausstellungsverfahren für das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) richtet sich grundsätzlich nach dem mitgliedsstaatlichen Verfahrensrecht (Perscha in: Deixler-Hübner/Schauer, Kommentar zur EuErbVO, 1. Auflage 2015, Art. 62 EuErbVO, Rdnr. 17). In Deutschland verweisen die §§ 33 ff. des zur Durchführung des EuErbVO erlassenen Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes (IntErbRVG) auf das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Das Verfahren über die gemäß Art. 72 ff. EuErbVO eröffnete Beschwerde richtet sich nach §§ 58 ff. FamFG, soweit nicht Abweichungen bestimmt sind (§ 43 IntErbRVG). Die Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 sind jeweils gemäß Art. 72 Abs. 1 EuErbVO in Verbindung ...