Leitsatz (amtlich)

1. Besteht zwischen Nachbarn Mitbesitz im Sinne des § 866 BGB an einem Grundstücksgrenzen überschreitenden Entwässerungsrohrsystem, bilden die Mitbesitzer eine Bruchteilsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB.

2. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung unmittelbaren Besitzes im Sinne des § 854 Abs. 1 BGB an einem Entwässerungsrohrsystem kann sein, von wem die Abwasserleitung tatsächlich genutzt wird.

3. Das Recht zur Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft kann gemäß § 242 BGB wegen der Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ausgeschlossen sein.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 741, 749, 854, 866

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 20.02.2023; Aktenzeichen 2 O 125/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 20.02.2023, Az. 2 O 125/20 werden zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz haben die Klägerin 2/3 und die Beklagten 1/3 zu tragen. Hiervon ausgenommen sind die durch die Verweisung des Rechtsstreits in erster Instanz entstandenen Mehrkosten, die die Klägerin alleine zu tragen hat.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.035,98 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Nachbarn und streiten um gegenseitige Verpflichtungen hinsichtlich einer zum Teil gemeinsam genutzten Anlage zur Grundstücksentwässerung.

1. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks G-Weg /4 in R. (FIst.Nr. 1.../2). Die Beklagten Ziff. 1 und 2 sind seit August 1995 Eigentümer des Hausgrundstücks G-Weg /8 (FIstNr. 1.../3). Die Beklagten Ziff. 3 und 4 sind seit Oktober 2010 Eigentümer des Hausgrundstücks G-Weg /6 (FIStNr. 1.../4).

Die Grundstücke G-Weg /6 und /8 wurden im Jahre 1958 bebaut und sind nicht direkt an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Diese reicht nur bis zur Höhe des klägerischen Grundstücks G-Weg /4, von dem aus eine Anschlussleitung zur öffentlichen Kanalisation in der Straßenmitte des G-Weg führt. An der Grenze des klägerischen Grundstücks zum G-Weg befindet sich ein Verbindungsbau. In diesen Schacht führt eine Abwasserleitung vom Haus der Klägerin G-Weg /4 sowie eine Abwasserleitung, die auf dem klägerischen Grundstück G-Weg /4 verläuft und die Grundstücke der Beklagten entwässert. Die Entwässerung über das Grundstück der Klägerin besteht seit den 50 - er Jahren des letzten Jahrhunderts (vgl. hierzu B 2, I/58). Ob die gemeinsame Entwässerung in die öffentliche Kanalisation über den grenznahen Schacht öffentlich-rechtlich genehmigt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Die Grundbucheintragungen der betroffenen Grundstücke enthalten kein dingliches Recht bezüglich der Nutzung des klägerischen Grundstücks für die Abwasserleitung der Beklagten.

Der frühere Eigentümer des klägerischen Grundstücks G-Weg /4, der Schwiegervater der Klägerin, H. G., hatte sich am 31.03.1958 schriftlich mit einer Entwässerung des Grundstücks G-Weg /8 über sein Grundstück einverstanden erklärt. Im selben Dokument hat der damalige Eigentümer des Grundstücks G-Weg /6 der Entwässerung des Gebäudes G-Weg /8 über sein Grundstück zugestimmt (B 3, I/59). Dort ist zu lesen: "Zu der Führung der Grundstücksleitung vom Spülabort des Gebäudes G-Weg /8 bis zum Anschluss an die öffentliche Dole über mein Grundstück erkläre ich mein Einverständnis".

In der Vergangenheit verzeichneten die Beklagten wiederholt Verstopfungen in der Entwässerungseinrichtung.

Mit Schreiben vom 28.06.2019 machte die Klägerin die Aufhebung der Gemeinschaft an dem "teilweise gemeinsamen Abwasserkanal" aus wichtigem Grund geltend (K 5, I/17 ff.).

2. Mit ihrer am 02.01.2020 zum Amtsgericht Reutlingen erhobenen Klage hat die Klägerin die Feststellung beantragt, dass die zwischen der Klägerin und den Beklagten ursprünglich bestehende Gemeinschaft zur Nutzung und Verwaltung eines Entwässerungssystems zwischen dem Verbindungsbau auf dem Grundstück der Klägerin (G-Weg /4, ... R., Flurstück 1../2, eingetragen im Grundbuch von R. Nr. ...3) und der öffentlichen Kanalisation beendet sei (Klageantrag Ziff. 1). Weiter hat die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Trennung ihrer Abwasserleitung zu dem in Klageantrag 1 genannten Verbindungsbau zu dulden und die über das Grundstück der Klägerin verlaufende Abwasserleitung zu beseitigen (Klageantrag Ziff. 2).

Zur Begründung hat die Klägerin die Auffassung vertreten, es sei ein wichtiger Grund für die Aufhebung der Gemeinschaft hinsichtlich der Anschlussleitung zwischen Verbindungsbau und öffentlicher Kanal...

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