Leitsatz (amtlich)
1. Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung über Art und Umfang seiner Prüfung der Geschäftsführung muss bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft oder bei risikoträchtigen, wegweisenden Entscheidungen die Schwerpunkte und zentralen Fragestellungen der Überwachungs- und Beratungstätigkeit im maßgeblichen Geschäftsjahr enthalten.
2. Die Intensivierung der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Gesellschaft führt zu einer damit korrespondierenden Intensivierung der Berichtspflicht.
3. Eine sachgerechte Entscheidung der Anteilseigner in der Hauptversammlung über die Entlastung setzt die Information über die konkrete Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats im maßgeblichen Geschäftsjahr voraus.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Ravensburg vom 29.9.2005 - 8 O 147/05 KfH 2 - abgeändert:
Der von der Hauptversammlung der Beklagten am 20.5.2005 unter Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss, durch welchen dem Aufsichtsrat Entlastung erteilt wurde, wird für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für beide Instanzen: 15.000 EUR.
Gründe
A. Der Kläger begehrt mit seiner Anfechtungsklage die Nichtigerklärung, hilfsweise Nichtigkeits- bzw. Unwirksamkeitsfeststellung, des in der Hauptversammlung der Beklagten am 20.5.2005 unter Punkt 3 der Tagesordnung gefassten Beschlusses, durch welchen dem Aufsichtsrat Entlastung erteilt wurde, weil dessen Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 2004 nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche.
1. Die Beklagte ist ein im Medienbereich tätiges Unternehmen, das sich mit der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von Kinder- und Familienserien für Fernsehprogramme sowie der Verwertung von Lizenzrechten des eigenen Programmbestands befasst. Ihr Grundkapital beträgt 6.525488 EUR. Mehrheitsaktionärin der seit dem 16.4.1999 in der Rechtsform der Aktiengesellschaft geführten Beklagten war bis November 2005 die R. AG, die 5.825.385 der insgesamt 6.525.488 Stückaktien hielt. Die Beklagte erzielte im Jahr 2004 einen Umsatz i.H.v. 6.439.000 EUR und beschäftigte neben dem Vorstand sieben Mitarbeiter.
Der Kläger hält 1.432 Stückaktien an der Beklagten.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich die Beklagte spätestens seit dem Geschäftsjahr 2002 in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. In der Ad-hoc-Mitteilung vom 17.6.2002 (Anlage K 13) berichtete die Beklagte über die zwischenzeitlich eingetretene Zahlungsunfähigkeit und einen Gesamtliquiditätsbedarf für die Sanierung bis Jahresende 2002 i.H.v. ca. 6 bis 7 Mio. EUR. Die Beklagte schloss das Geschäftsjahr 2002 mit einem Jahresfehlbetrag i.H.v. 94.032.000 EUR ab (Anlage B 3).
Am 15.1.2003 wurde M.R. zum alleinigen Vorstand der Beklagten bestellt. Der Geschäftsbericht 2003 (Anlage B 3) wies einen Umsatzrückgang von über 60 % ggü. dem Vorjahr (Umsatz 2002: 23.045.000 EUR, Umsatz 2003: 9.081.000 EUR) und einen Jahresfehlbetrag i.H.v. 2.406.000 EUR aus.
Der Kläger erstattete am 4.9.2003 Strafanzeige gegen die früheren Mitglieder des Vorstands sowie frühere und derzeitige Mitglieder des Aufsichtsrats u.a. wegen unrichtiger Angaben über die wirtschaftliche Lage der Beklagten in den Jahren 1999 bis 2002. Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft am 4.8.2004 eingestellt und auf die Beschwerde des Klägers am 11.11.2004 wieder aufgenommen (Anlage K 5). Mit Verfügung vom 10.1.2006 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO erneut ein (Anlagen BB 2, 3).
Der Geschäftsbericht 2004 (Anlage K 4, S. 12) wies einen weiteren Umsatzrückgang von fast 30 % ggü. dem Vorjahr (Umsatz 2003: 9.081.000 EUR, Umsatz 2004: 6.439.000 EUR) und einen Jahresfehlbetrag i.H.v. 4.081.000 EUR aus. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E. AG versah den Jahresabschluss 2004 am 10.2.2005 mit dem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk (Anlage K 4, S. 66 f.). In dem Bestätigungsvermerk wurde ausdrücklich auf die Bedrohung des Fortbestands des Konzerns aufgrund angespannter Liquidität hingewiesen. Im Einzelnen wurde ausgeführt:
"Die X. AG muss mit den Hauptgläubigern V. GmbH, D. AG, B. AG sowie R. AG im Jahr 2005 Vereinbarungen erzielen, in denen die Fälligkeiten der Zahlungsverpflichtungen verschoben werden bzw. die Gesellschaft von Zahlungsverpflichtungen endgültig befreit wird. Der Auseinandersetzung mit der V. GmbH ist dabei eine zentrale Bedeutung beizumessen."
Im Bericht des Aufsichtsrats vom 16.3.2005 (Anlage K 4, S. 3) wurde zur Prüfung der Geschäftsführung ausgeführt:
"Der Aufsichtsrat hat sich in fünf Sitzungen sowie regelmäßig anhand schriftlicher und mündlicher Berichte des Vorstands eingehend über die Unternehmensstrategie, den Gang der Geschäfte und die Lage des Unternehmens sowie über wesentliche Programm-Investitionen informiert."
Am 17.3.2005 veröffentlichte die...