Leitsatz (amtlich)
1. Einen Versicherungsvertreter tifft gegenüber seinem Prinzipal als zentrale Vertragspflicht ein strenges Wettbewerbsverbot, das wegen der Störung des Vertauensverhältnisses in der Regel eine Kündung aus wichtigem Grund rechtfertigt.
2. Dennoch hat in diesem Fall eine Zumutbarkeitsprüfung zu erfolgen. Dies führt dazu, dass bei einem langjährigen Vertragsverhältnis (hier: 37 Jahre) die Vermittlung von wenigen Versicherungsverhältnissen (hier: ca. 10 Kraftfahrzeugversicherungsverträge mit 5 Kunden) für eine andere Versicherung nicht zur Kündigung berechtigt, wenn der Prinzipal von sich aus den Kunden gekündigt hatte und die Vermittlung der Konkurrenzversicherung auch zu dem Zweck erfolgt ist, die Kundenbeziehung im Interesse von anderen fortlaufenden Versicherungsverhältnissen mit dem Prinzipal aufrechtzuerhalten und den Kunden nicht ganz zu verlieren. Dies gilt auch dann, wenn in einer vertraglichen Kündigungsklausel der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot ausdrücklich als Kündigungsgrund benannt ist.
3. Das Wissen der führenden Mitarbeiter der zuständigen Bezirksdirektion über eine Konkurrenztätigkeit eines Versicherungsvertreters ist dem Unternehmen zuzurechnen, so dass eine darauf gestützte Kündigung bei Überschreiten einer angemessenen Überlegungsfrist ausscheidet.
Normenkette
HGB §§ 86, 89a
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 20.03.2009; Aktenzeichen 21 O 92/06) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 21. Kammer für Handelssachen des LG Tübingen - Az. 21 O 92/06 - vom 20.3.2009 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert der Berufung: 50.000 EUR.
Gründe
A. Der Kläger war selbständiger Handelsvertreter der im Versicherungsbereich tätigen Beklagten. Er begehrt die Feststellung, dass fristlose Kündigungen, die ihm gegenüber am 14.11.2006, 3.12.2007 und 7.12.2007 ausgesprochen wurden, einen zwischen den Parteien bestehenden Agenturvertrag nicht wirksam beendet haben.
1. Der Kläger war seit 1969 mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen im Auftrag der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger betraut, seit 1984 als selbständiger Handelsvertreter. In dem dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde liegenden, im März 1984 mit Wirkung zum 1.4.1984 geschlossenen Agenturvertrag heißt es u.a.:
§ 2 Rechtsstellung und Vollmachten
1. Der Mitarbeiter ist selbständiger Handelsvertreter im Hauptberuf gem. §§ 84 ff. HGB. Er ist damit betraut, Versicherungs- und Bausparverträge zu vermitteln ...
§ 4 Wettbewerbsverbot
1. Der Mitarbeiter verpflichtet sich, während der Dauer des Vertragsverhältnisses weder unmittelbar noch mittelbar für andere Versicherungsgesellschaften als für die ... tätig zu sein ...
§ 11 Beendigung des Agenturvertrages
3. Die Kündigung des Vertragsverhältnisses kann außerdem von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausgesprochen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund, der die zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, ist insbesondere auch bei einem Verstoß gegen § 4 ... dieses Vertrages gegeben.
Seine Tätigkeit im Dienste der Beklagten übte der Kläger lange Zeit erfolgreich und zur vollsten Zufriedenheit der Beklagten aus, die ihn dafür mit einer "Besten-Mitgliedschaft" im "V-Club" auszeichnete. Aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, gingen allerdings die Vermittlungserfolge des Klägers in jüngerer Zeit zurück.
In den Jahren 2000 bis 2006 vermittelte der Kläger in einer streitigen Anzahl von Fällen Kfz-Versicherungsverträge an ein Konkurrenzunternehmen, die "I". Die zuständige Bezirksdirektion Reutlingen der Beklagten erlangte von diesem Umstand im Herbst 2006 Kenntnis und forderte den Kläger zur Stellungnahme auf. In einem Schreiben vom 19.10.2006 (Anl. A 1, Bl. 47/48 d.A.) räumte dieser die "Unterbringung" von Kfz-Versicherungsverträgen diverser, vereinzelter Kunden bei der I. ein, wies gleichzeitig aber darauf hin, dass "die V-Versicherungen von diversen Kunden von mir, aus welchen Gründen auch immer, gekündigt hat.
Die meisten dieser Kunden wollten weiterhin mit mir zusammenarbeiten. Ohne mir über die Folgen Gedanken zu machen, habe ich damals über einen Bekannten eine (nebenberufliche) Beziehung zur begonnen. Es ging mir damals nicht um Provisionen bzw. Bereicherung, sondern nur um weiter bestehende Kontaktpflege zu meinen Kunden (von denen andere Verträge bei mir über die weiterliefen, die ich nicht auch noch verlieren wollte).
In der Vergangenheit hatte ich so ca. 10 gekündigte Kfz-Verträge dort "untergebracht". Provisionen habe...