Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschiebungshaft: Keine Haftanordnung bei Möglichkeit vorläufiger Festnahme auf Grund von § 62 Abs. 4 AufenthG
Leitsatz (amtlich)
Wenn der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers unbekannt ist und der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht, kann die Ausländerbehörde den Ausländer auf der Grundlage des § 62 Abs. 4 AufenthG vorläufig festnehmen (lassen), wenn sie seiner zufällig oder durch eine gezielte Kontrolle habhaft wird. Der Ausländer ist auch in diesen Fällen dem Richter unverzüglich zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.
Normenkette
AufenthG § 106 Abs. 2, § 62 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Beschluss vom 17.09.2007; Aktenzeichen 1 T 241/07) |
AG Neustadt an der Weinstraße (Aktenzeichen XIV 29/07.B) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Betroffene ist chinesischer Staatsangehöriger. Sein nach unerlaubter Einreise in die Bundesrepublik gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12.12.2003 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Betroffene wurde aufgefordert, die Bundesrepublik binnen einer Woche zu verlassen. In der Vergangenheit war er bereits mehrfach untergetaucht. Nachdem er bei einer Personenkontrolle in L. aufgegriffen und am 25.1.2007 nach Deutschland rücküberstellt worden war, hat das Amtsgericht Trier am gleichen Tag Abschiebungshaft angeordnet, aus der der Betroffene am 17.7.2007 entlassen wurde, da die Abschiebung aus Gründen nicht möglich war, die er nicht zu vertreten hatte. In der ihm zugewiesenen Unterkunft in H. hielt er sich nur unregelmäßig auf; seit Anfang August 2007 konnte er dort überhaupt nicht mehr angetroffen werden.
Am 27.8.2007 beantragte die Beteiligte zu 1) die Anordnung von Sicherungshaft für zwei Wochen, hilfsweise die Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung. Zur Begründung trug sie vor, nach Ausstellung eines Heimreisedokumentes und Buchung eines Fluges könne die Abschiebung am 12.9.2007 erfolgen.
Die Vorinstanzen haben die Anordnung der Abschiebungshaft abgelehnt. Sie haben im Wesentlichen ausgeführt, wegen des unbekannten Aufenthaltes des Betroffenen stehe nicht mit Sicherheit fest, dass die Abschiebung am 12.9.2007 durchgeführt werden könne. Auch auf der Grundlage des § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG komme die Anordnung der Haft nicht in Betracht, weil der Betroffene unbekannten Aufenthaltes sei und deshalb nicht nach § 5 FEVG angehört werden könne. Ein Eilfall des § 11 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbs. FEVG liege nicht vor.
Das LG hat darüber hinaus darauf abgestellt, dass es zur Festnahme des Betroffenen jedenfalls auf der Grundlage des am 28.8.2007 in Kraft getretenen § 62 Abs. 4 AufenthG keines vorherigen Erlasses eines Haftbefehles bedürfe.
Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1) sofortige weitere Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es handele sich vorliegend nicht um eine der Vorschrift des § 62 Abs. 4 AufenhG unterfallende Fallkonstellation, weshalb der Erlass eines Haftbefehles erforderlich sei.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 106 Abs. 2 AufenthG, §§ 3 Satz 2, 7 FEVG, §§ 27, 29 Abs. 1 Satz 3 FGG).
In der Sache führt es jedoch nicht zum Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des LG beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Die Vorinstanzen haben den Erlass eines Haftbefehls zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, abgelehnt.
Entgegen der von der Beteiligten zu 1) im Verfahren der weiteren Beschwerde vertretenen Auffassung ergibt sich auch aus der am 28.8.2007 in Kraft getreten neuen Regelung des § 62 Abs. 4 AufenthG nichts Gegenteiliges. Nach dieser Vorschrift kann die für den Haftantrag zuständige Behörde einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
1. der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 2 Satz 1 besteht,
2. die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3. der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage für die Ingewahrsamnahme des Ausländers durch die Ausländerbehörde geschaffen. Ziel der Regelung des Abs. 4 ist es, eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, um die richterliche Vorführung zur Anordnung der Sicherungshaft sicherzustellen. Satz 1 Nr. 1 stellt die Verknüpfung der vorläufigen Festnahme mit dem erstrebten Ziel der Maßnahme sicher, die Anordnung der Sicherungshaft. Nummer 2 dient ausschließlich der Klarstellung, dass eine vor...