Entscheidungsstichwort (Thema)
Auch durch § 279 StGB a.F. wird § 267 StGB nicht aufgrund einer privilegierenden Spezialität verdrängt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 10.11.2022. 5 StR 283/22)
Verfahrensgang
AG Speyer (Entscheidung vom 24.05.2022) |
Tenor
- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 24.05.2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Speyer zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen.
Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde gelegt:
1.
Am 13.10.2021 legte die Angeklagte in der ... Apotheke in der ... in ... einen auf ihren Namen lautenden Impfausweis vor, der zwei mittels Stempel und Unterschrift verifizierte Eintragungen enthielt, die entgegen der Tatsachen bescheinigen sollten, dass sie am 14.07.2021 (Chargennummer: 1DO18A) und am 25.08.2021 (Chargennummer: Ey2172) beim Impfzentrum ... jeweils eine Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von der Firma BioNTech/Pfizer erhalten habe. Tatsächlich hatte die Angeklagte diese Impfungen zu keinem Zeitpunkt erhalten und die Eintragungen waren von einer unberechtigten Person vorgenommen worden, was ihr bekannt war. Der Absicht der Angeklagten folgend wurde ihr daraufhin in der Annahme der Echtheit der Eintragungen ein digitaler Impfnachweis ausgestellt, den sie in der Folgezeit in ihrer Corona Warnapp hochlud, um das Zertifikat in der Folgezeit zu verwenden.
2.
Das Amtsgericht hat die Angeklagte freigesprochen, weil sie keinen Straftatbestand erfüllt habe.
Eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB sei nicht möglich, weil die §§ 277 ff. StGB a.F. in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung eine umfassende Privilegierung des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstellen würden.
Ein Verwenden des digitalen Impfnachweises habe sich mangels objektiver Beweismittel bzw. Ermittlungsansätze nicht klären lassen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht den Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in der von den §§ 277, 278 a.F. StGB bezeichneten Art gemäß § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.
Bei der Impfbescheinigung handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277, 278 StGB a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2022 - 5 StR 283/22; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022 - 1 Ws 114/21 - juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022 - 1 Ws 732-733/21 -, juris Rn. 14; Heine/Schuster in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 277 Rn. 2; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 277 Rn. 2; jeweils m.w.N.), auf die § 279 StGB a.F. hinsichtlich der Tatobjekte verweist. Keinen Bedenken unterliegt auch, dass das Amtsgericht einen Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses i.S.d. § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.
Der Tatbestand des § 279 StGB a.F. setzt voraus, dass von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis Gebrauch gemacht wird, um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen. An dieser Verwendungsabsicht fehlt es vorliegend. Wie im Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. besteht die Tathandlung auch im Anwendungsbereich des § 279 StGB a.F. im Gebrauch des Attests gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft (vgl. Erb, a.a.O., § 279 Rn. 3 m.w.N.; BT-Drucks., a.a.O., S. 34).
Als einzige tatsächliche Verwendungsweise festgestellt ist, dass der Impfausweis in einer Apotheke zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wurde.
Apotheken kommen als Vorlageadressaten nicht in Betracht, da sie keine Behörden i.S.d. Vorschrift sind (vgl. BGH, a.a.O. zu §§ 277, 278 StGB a.F. m.w.N.).
Durch die Vorlage der Falsifikate in Apotheken zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats wird die Impfbescheinigungen auch nicht dem Robert-Koch-Institut als der für die Erstellung digitaler Impfzertifikate zuständigen Behörde zugänglich gemacht. Denn ein Gebrauchen setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (BGH, a.a.O. m.w.N.). Daran fehlt es, weil dem Robert-Koch-Institut durch die Apotheke nicht der Impfpass, sondern lediglich darin befindliche personenbezogene Daten übermittelt werden (BGH, a.a.O. unter Hinweis auf OLG Celle, Urteil vom 31.05.2022 - 1 Ss 6/22 Rn. 20, NJW 2022, 2054, 2055; Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O.).
Weitere Verwendungsweisen oder Absichten, die auf die Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesells...