Entscheidungsstichwort (Thema)
Gründe für die Entlassung eines Vormunds - Beschwerderecht des neu bestellten Vormunds
Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt das Familiengericht einen Wechsel des Vormunds vor, steht dem neu bestellten Vormund die Beschwerde auch gegen die Entlassung des bisherigen Vormunds zu, wenn er mit seiner Beschwerde geltend macht, die Voraussetzungen für einen Vormundwechsel hätten nicht vorgelegen.
2. In Vormundschaftssachen sind die gesetzlichen Anhörungspflichten gem. §§ 159 ff. FamFG zu beachten.
3. Ein Vormund kann nur dann entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (Entlassung auf Antrag gem. § 1889 Abs. 1 BGB) oder wenn die Fortführung des Amts das Interesse des Mündels gefährden würde oder in der Person des Vormunds einer der in § 1781 BGB bestimmten Gründe vorliegt (Entlassung gem. § 1886 BGB).
4. Im Rahmen von § 1889 Abs. 1 BGB ist eine umfassende Betrachtung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und das Interesse des Vormunds an einer Entlassung aus dem Amt gegen das Interesse des Mündels an der Weiterführung der Vormundschaft durch den bisherigen Vormund abzuwägen.
Normenkette
BGB §§ 1781, 1786 Abs. 1 Nrn. 2, 5; FamFG §§ 159-161
Tenor
I. Auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 4) vom 6. April 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vom 1. April 2020 aufgehoben.
II. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. In dem vorliegenden Verfahren geht es um einen mit dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vorgenommenen Wechsel des Vormunds.
Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - X. vom 13. August 2010 wurde der allein sorgeberechtigten Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für den damals sechsjährigen A. entzogen und das Jugendamt der Stadt X. zum Vormund bestellt. Eine gleichlautende Entscheidung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - X. vom 15. Oktober 2010 im Hauptsacheverfahren getroffen.
Seit seiner Inobhutnahme am 12. August 2010 lebte A. in einer Pflegefamilie in Y. Auf Antrag des Jugendamts der Stadt X. vom 27. Februar 2012 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - X. vom 20. Dezember 2012 mit Einverständnis beider Jugendämter das Jugendamt der Stadt X. aus dem Amt als Vormund entlassen und das Jugendamt der Stadt Y. als neuer Vormund bestellt.
Am 25. Juli 2018 zog der inzwischen 14jährige A. in die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung X. Auf Antrag des Jugendamts der Stadt Y. vom 24. September 2018 wurde nach schriftlicher Anhörung des Kindes, der Kindeseltern, des Jugendamts der Stadt Y., der als neue Berufsvormünderin vorgeschlagenen weiteren Beteiligten zu 3) sowie des Jugendamts des Kreises W. mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - W. vom 29. Oktober 2018 das Jugendamt der Stadt Y. aus dem Amt als Vormund entlassen und die weitere Beteiligte zu 3) als neuer Vormund bestellt.
Mitte November 2018 wurde A. von der Einrichtung für eine kurze Auszeit zu seiner ehemaligen Pflegefamilie verbracht und dort nicht wieder abgeholt. Da die ehemalige Pflegefamilie nicht bereit war, A. wieder dauerhaft in ihren Haushalt aufzunehmen, wurde A. am 23. November 2018 vom Jugendamt der Stadt Y. in Obhut genommen und vorübergehend in einer Einrichtung in V.. untergebracht. Daraufhin beantragte die weitere Beteiligte zu 3) noch am gleichen Tage die Entlassung aus dem Amt der Vormundschaft. In der Folgezeit führte sie die Vormundschaft jedoch weiter fort. Im Dezember 2018 zog A. in eine Einrichtung in X. und von dort im Januar 2019 in eine Einrichtung in U. im Bezirk des Amtsgerichts Schleswig. Auch diese Hilfemaßnahme wurde jedoch nach kurzer Zeit beendet und A. wurde spätestens im Juli 2019 in ein Kinderschutzhaus in T. verbracht. Mit Schreiben vom 23. Juli 2019 teilte die weitere Beteiligte zu 3) mit, dass sie A. vorläufig einen Vormundwechsel ersparen wolle. Nachfolgend wechselte A. erneut in eine andere Einrichtung in T.
Am 15. Januar 2020 zog A. in eine Einrichtung in Z., wo er seitdem wohnt. Mit Schreiben vom 17. Februar 2020 teilte die weitere Beteiligte zu 3) jedoch mit, dass A. bis Ostern dort wieder ausziehen müsse, da man ihm dort nicht gerecht werde.
A. leidet an Diabetes mellitus Typ 1, einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie an einer unterdurchschnittlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit im Sinne einer geistigen Behinderung. Darüber hinaus liegen eine reaktive Bindungsstörung im Kindesalter, eine Anpassungsstörung, eine kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten sowie eine Adipositas vor (vgl. den letzten Bericht der weiteren Beteiligten zu 3) vom 6. April 2020). Eine Beschulung von A. in einer öffentlichen Schule ist seit Sommer 2019 nicht mehr möglich. Nach den letzten Berichten der weiteren Beteiligten zu 3) besteht bei A. eine zunehm...