Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Sittenwidrigkeit von Schuldanerkenntnissen von Kunden eines Nachtclubs mit Bordellbetrieb
Leitsatz (amtlich)
1. Ein abstraktes Schuldanerkenntnis i.S.v. § 781 BGB ist nichtig, wenn es einem Kunden eines Animierlokals über einen Betrag abverlangt wird, der einen fünfstelligen DM-Betrag übersteigt.
2. Verzehrverträge in Animierlokalen sind grundsätzlich nicht sittenwidrig, wenn mit ihnen keine sexuellen Leistungen abgegolten werden.
3. Der auf Geschlechtsverkehr gegen Entgelt gerichtete Vertrag als solcher ist auch nach In-Kraft-Treten des Prostitutionsgesetzes sittenwidrig.
Verfahrensgang
LG Flensburg (Urteil vom 19.11.2002; Aktenzeichen 2 O 354/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19.11.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Flensburg teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.031,20 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte 54 % und die Klägerin 46 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin, Betreiberin eines Nachtlokals und Bordells, begehrt von dem Beklagten, einem Kunden, Bezahlung von "Leistungen".
Hierbei beruft die Klägerin sich in erster Linie auf zwei "Schuldanerkenntnisse", die der Beklagte gelegentlich seines Aufenthaltes in den Räumlichkeiten des Bordells am 29.9.2000 über 10.000 DM und am 30.9.2000 über 11.696 DM unterschrieben hatte. Hilfsweise hat die Klägerin unter Vorlage von "Gästekarten" dargelegt, dass der Beklagte vom 28. auf den 29.9.2000 8 Flaschen Champagner à 650 DM bestellt und ferner 16 Stunden "Begleitservice" der Prostituierten C. (14 Std.) und S. (2 Std.) à 300 DM pro Stunde in Anspruch genommen habe, was zusammen 10.000 DM ergebe. Vom 29. auf 30.9.2000 habe der Beklagte 10 Flaschen Champagner à 650 DM bestellt, ferner 6 Flaschen Pils à 16 DM sowie 17 Stunden "Begleitservice" der Prostituierten C. und V. in Anspruch genommen, was den Betrag von 11.696 DM ergebe.
Der Beklagte hat bestritten, die angegebene Anzahl von Getränken konsumiert zu haben. Aber auch insgesamt seien die Verträge sittenwidrig (§ 138 BGB).
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte zum Teil Erfolg.
Entscheidungsgründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Von einer weiteren Darstellung des Streitstandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EG ZPO.
II. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, soweit er zur Bezahlung der Getränkebestellungen verurteilt worden ist. Im Übrigen ist sie begründet, weil es keine rechtliche Grundlage gibt, von ihm die Zahlung des "Begleitservices" zu verlangen.
1. Entgegen der Ansicht des LG kann der Klageanspruch nicht auf die beiden vom Beklagten am 29. und 30.9. unterschriebenen Anerkenntnisurkunden gestützt werden, weil diese Schuldanerkenntnisse wegen Sittenverstoßes nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind.
a) Die beiden von der Klägerin vorgelegten Urkunden sind als Schuldanerkenntnisse i.S.v. § 781 BGB zu bewerten. Mit ihnen sollten selbstständige, von den zugrunde liegenden Vertragsbeziehungen losgelöste Schuldverhältnisse begründet werden, die aus sich heraus eine ausreichende Grundlage für einen selbstständigen Anspruch bilden sollten.
Hingegen handelt es sich nicht, wie das LG irrtümlich kumulativ angenommen hat, um sog. deklaratorische Schuldanerkenntnisse, die nicht unter § 781 BGB fielen. Von einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis ist nur auszugehen, wenn die Parteien mit dem Anerkenntnisvertrag einen Streit oder eine Unsicherheit über den Inhalt der zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisse beenden und ohne Rücksicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen des anerkannten Anspruchs eine klare Rechtsgrundlage schaffen wollen. Hierfür liegt nach dem von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt kein Anhaltspunkt vor. Nach der Darstellung der Klägerin, die der Beklagte in unzulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten hat, § 138 Abs. 4 ZPO, so dass sie als unstreitig zu behandeln ist, hat es bei Unterzeichnung der beiden vorlegten Urkunden weder über die Höhe der dort aufgeführten Schuldbeträge noch über die Verpflichtung des Beklagten, diese Beträge zahlen zu müssen, irgendeinen Streit gegeben. Folglich hat die Klägerin von vornherein beabsichtigt, nach § 781 BGB einen selbstständigen Schuldgrund für ihre Ansprüche zu schaffen (zu allem BGH v. 18.5.2000 - IX ZR 43/99, MDR 2000, 943 = NJW 2000, 2501 [2502]).
b) Die Sittenwidrigkeit der beiden Schuldanerkenntnisse folgt nicht aus den zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen, also aus dem etwa seinerseits als sittenwidrig zu bewertenden Charakter der im Etablissement der Klägerin erbrachten Leistungen, sondern aus dem Umstand, dass unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles von der Klägerin überhaupt kein Schuldanerkenntnis vom Beklagten hä...