Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Fahrtenbuchauflage
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen und zur Verhältnismäßigkeit der Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO
2. Halter eines Fahrzeuges ist derjenige, der das Kraftfahrzeug für eigene Rechnung gebraucht bzw. wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung bestimmt. Ein Verlust der Haltereigenschaft tritt dabei erst bei längerfristigem Überlassen des Kraftfahrzeuges an einen Dritten nicht ein, wenn der Eigentümer jederzeit über das Fahrzeug selbst verfügen kann.
3. Maßgeblich für die fortbestehende Haltereigenschaft bei Überlassen eines Fahrzeuges an einen Dritten ist, ob der Halter, der sein Fahrzeug dauerhaft verleiht, seine Verfügungsbefugnis behält bzw. nach der Absprache mit dem Entleiher diesem gegenüber hinsichtlich der Nutzung des Fahrzeuges weisungsbefugt bleibt. In diesem Falle ist der Halter in der Lage, den Dritten etwa dazu zu veranlassen, seinerseits eine den Anforderung einer Fahrtenbuchauflage entsprechendes Fahrtenbuch zu führen.
Normenkette
SVwVfG § 37; StVG §§ 7, 26 Abs. 3; StVZO § 31a Abs. 1 Sätze 1-2; FeV § 40; FeV zur – Anlage 13; FeV zur – Ziff. 7
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die vom Beklagten verfügte Auflage, für den auf sie zugelassenen Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …-… für die Dauer eines halben Jahres ein Fahrtenbuch zu führen.
Der Führer des betreffenden PKW überschritt am 11.12.2008 um 9:25 Uhr auf der Bundesstraße 43 in Kelsterbach, Richtung A 3, die höchstzulässige Geschwindigkeit von 80 km/h abzüglich der Messetoleranz um 24 km/h. Der Geschwindigkeitsverstoß wurde durch ein Geschwindigkeitsmessgerät festgestellt und mit einem Foto dokumentiert. Mit Schreiben vom 6.1.2009 (Az.: …) und beigefügtem Zeugenfragebogen hörte die zuständige Bußgeldstelle des Regierungspräsidiums Kassel die Klägerin zu der mit ihrem Fahrzeug begangenen Ordnungswidrigkeit an. Die Klägerin erklärte daraufhin durch Ankreuzen eines vorformulierten Textes im Anhörbogen, dass sie von ihrem “Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht” Gebrauch mache.
Mit Schreiben vom 27.1.2009 bat das Regierungspräsidium Kassel die Polizeibezirksinspektion (PBI) St. Wendel darum, den für die Tat verantwortlichen Fahrer zu ermitteln und die nötigen Feststellungen zu treffen. Ausweislich eines Vermerks vom 7.2.2009 konnten Beamte der PBI St. Wendel die Klägerin am 2.2.2009 an ihrer Wohnadresse antreffen; nach Belehrung machte sie keine Angaben zum Tatvorwurf, sondern berief sich auf ihr “Aussageverweigerungsrecht”, da das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt von einem Familienangehörigen gefahren worden sei. Der unter derselben Adresse gemeldete Lebensgefährte der Klägerin ist nach den anhand eines Lichtbildvergleichs getroffenen Feststellungen der Beamten vermutlich nicht der verantwortliche Fahrzeugführer. Auch ein Nachbar der Klägerin vermochte den Fahrer auf dem ihm gezeigten Frontfoto nicht zu erkennen. Sonstige Anhaltspunkte zur Identität des verantwortlichen Fahrzeugführers lagen laut dem Vermerk nicht vor. Der Vorgang wurde daher an das Regierungspräsidium Kassel zurückgesandt.
Unter dem 16.2.2009 teilte das Regierungspräsidium Kassel dem Beklagten mit, dass das Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz “abgeschlossen” worden sei und bat diesen, zu prüfen, ob eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden könne. Kurz darauf hörte der Beklagte die Klägerin zu der von ihm beabsichtigten Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einjähriger Geltungsdauer an. Die Klägerin nahm mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 5.3.2009 wie folgt Stellung: Auf sie seien zwei Fahrzeuge zugelassen. Das Fahrzeug, mit dem die fragliche Ordnungswidrigkeit begangen worden sei, werde nicht von ihr gefahren, sondern stünde ihrem Lebensgefährten und ihren zwei Söhnen zur Verfügung. Das auf dem Zeugenfragebogen aufgedruckte Frontfoto sei derart unscharf gewesen, dass man den Fahrzeugführer nicht habe erkennen können. Sie habe sich daher nach Kräften bemüht, den verantwortlichen Fahrzeugführer “herauszufinden”. Jedoch habe sich weder ihr Lebensgefährte noch hätten sich ihre Söhne daran erinnern können, das Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben, und keiner von ihnen sehe dem Fahrer auf dem Radarfoto ähnlich. Auch der Tatort der Ordnungswidrigkeit lasse keinen Rückschluss auf die Identität des Fahrers zu. Ihr Lebensgefährte, der als Makler arbeite, sei viel unterwegs; dies gelte gleichfalls für ihre beiden Söhne. Es sei ihr daher beim besten Willen nicht möglich gewesen, die Identität des Fahrers herauszufinden. Sie gestatte si...