Rz. 386
Durch die Abgrenzung latenter Steuern wird das Ziel verfolgt, die Steuerbelastung des Unternehmens so darzustellen, als ob der handelsrechtliche JA auch die Steuerbemessungsgrundlage wäre. In der Vergangenheit spielte diese Abgrenzung in HGB-JA praktisch kaum eine Rolle, wofür mehrere Gründe ausschlaggebend waren. (1) Die relativ enge Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz durch Maßgeblichkeit und Umkehrmaßgeblichkeit. Soweit sich die Bilanzen weitgehend entsprechen, gibt es keinen Anlass für Abgrenzungen. (2) Regelmäßig resultierten aus der Abgrenzung aktive latente Steuern, für die nach § 274 Abs. 2 HGB a. F. ein Ansatzwahlrecht bestand, das i. A. nicht ausgeübt wurde. Eine Ursache hierfür lag darin, dass die Unterschiede in Handels- und Steuerbilanz oftmals auf bilanzpolitischen Entscheidungen zur Verringerung des HGB-JÜ beruhten, denen die steuerliche Anerkennung verwehrt blieb. Es macht wenig Sinn, die so erzielte Gewinnminderung im Gegenzug durch eine Ertragsbuchung für aktive latente Steuern teilweise wieder zu kompensieren. Außerdem konnte der Ermittlungsaufwand für die Abgrenzungsrechnung vermieden werden. (3) Aktive Latenzen führen zwar zu einer verbesserten EK-Quote und höherem Ergebnis, sie wurden bei Kreditratings aber typischerweise eliminiert, so dass sich kein positiver Effekt ergab. Es galt schon eher als leichtes Krisenzeichen, wenn ein Unternehmen eine solche Bilanzierungshilfe ansetzte. (4) Das (enge) GuV-orientierte Timing-Konzept erlaubte nicht für alle Differenzen eine Abgrenzung, während das Bilanz-orientierte international übliche Temporary-Konzept mehr Sachverhalte abdeckt.
Rz. 387
Durch das BilMoG wurde das umfassendere Temporary-Konzept (vgl. DRS 18; der DRSC empfiehlt die Anwendung der DRS sowohl im Konzern- als auch im Einzelabschluss, obwohl die gesetzliche Ermächtigung in § 342 nur den Konzernabschluss deckt) eingeführt, die Umkehrmaßgeblichkeit gestrichen und eine ganze Reihe weiterer Änderungen eingeführt, die vom derzeitigen Bilanzsteuerrecht abweichen, so dass künftig Steuerlatenzen sehr viel häufiger sein werden. Hierbei kann keineswegs unterstellt werden, dass es immer oder auch nur regelmäßig zu einem Aktivüberhang kommt. Durch das nach wie vor bestehende Aktivierungswahlrecht (dies ist der wichtigste Unterschied zu IAS 12) könnte ansonsten die recht aufwendige Abgrenzungsrechnung vermieden werden. Wenn nicht durch überschlägige Prüfung eindeutig ist, dass ein Aktivsaldo verbleibt, der nicht angesetzt werden soll, wird eine detaillierte Ermittlung unumgänglich sein.
Rz. 388
Anzuwenden ist § 274 HGB von KapGes und eG (§ 336 Abs. 2 HGB). Kleinst- und kleine Unternehmen i.S. d. §§ 267, 267 a HGB können auf die Steuerabgrenzung verzichten (§ 274 a HGB) und bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen kann auf die Anhangangaben nach § 285 Nr. 28 HGB verzichtet werden. Die Erleichterung für kleine Unternehmen darf nicht missverstanden werden. Zum Teil stellen passive latente Steuern zugleich echte Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 HGB dar, die auf jeden Fall zu passivieren sind, auch wenn im Übrigen auf eine Abgrenzung latenter Steuern verzichtet wird (vgl. Grottel in BeBiKo, § 274 a HGB RN 6; IDW RS HFA 7 RN 7). Dies betrifft z. B. passive latente Steuern auf aktivierte selbsterstellte immaterielle Anlagegüter, einen Aktivsaldo nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB oder Unterschiede infolge des Wegfalls der Umkehrmaßgeblichkeit.
Rz. 389
Nach § 274 HGB a. F. war die Steuerabgrenzung an unterschiedliche Periodisierungen von Aufwendungen oder Erträgen in der Handels- und Steuerbilanz mit einer anschließenden Ergebnisumkehr geknüpft (GuV-orientiert). Nach dem jetzt vorgeschriebenen Temporary-Konzept erfolgt eine Abgrenzung immer dann, wenn der Bilanzwert eines VG, einer Schuld oder eines RAP in den Bilanzen unterschiedlich ist. Ob auch für einen unterschiedlich angesetzten Firmenwert latente Steuern anzusetzen sind, ist zweifelhaft. Zwar fingiert § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB, der Firmenwert sei ein immaterieller VG, aber er ist eben keiner, sondern eine reine Restgröße nach der Kaufpreisallokation. Deshalb erscheint es vertretbar und sachgerecht, keine latente Steuerabgrenzung auf diesen Sonderposten vorzunehmen (vgl. Wendholt/Wesemann, DB Beilage 5/2009, S. 72), zumal § 308 a HGB dies für den Konzernabschluss explizit vorsieht (vgl. Küting/Seel 2009, S. 513). Bei gleichem Firmenwert in Handels- und Steuerbilanz, der unterschiedlich abgeschrieben wird, sind aber Steuerabgrenzungen nach den üblichen Regeln vorzunehmen.
Rz. 390
Unter die erfassten Unterschiede von Bilanzposten zählen sowohl Ansatz- als auch Bewertungsunterschiede. Im Allgemeinen führen diese auch zu Ergebnisunterschieden in der GuV, so dass sich insoweit keine wesentlichen Unterschiede zum alten Timing-Konzept ergeben. Hierzu gibt es aber einige Ausnahmen, z. B. aufgrund der Übergangsbestimmungen des BilMoG (Art. 67 EGHGB) oder bei unterschiedlichen Zugangswerten im Rahmen von Verschmelzungen,...